PRÄVENTION IM RÜCKBLICK 29 forum kriminalprävention 1 2023 Henriette Arendt Einsatz für mehr Kinderschutz Die erste Frau bei der deutschen Polizei kritisierte die zeitgenössischen präventiven Konzepte Sylvia Rizvi Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne So war es auch als Henriette Arendt in Stuttgart ihren Dienst antrat Sie war die erste deutsche Polizeibeamtin man schrieb das Jahr 1903 Arendt galt als kompetent tatkräftig und ideenreich Ihr Vorgesetzter war stolz Fünf Jahre später suchte er jedoch Gründe für ihre Entlas sung Arendt hatte öffentlich die Kriminal Prävention kritisiert und sich Feinde gemacht Heute sind viele Ideen der ersten Polizistin verwirklicht Die Stuttgarter Polizei stellte die am 11 November 1874 geborene Kranken schwester Henriette Arendt am 1 Fe bruar 1903 als Polizeiassistentin ein Sie sollte dem Amtsarzt bei der Unter suchung von Prostituierten zur Hand gehen auf korrektes Verhalten der Beamten achten und Ansprechpart nerin für die betroffenen Frauen sein Es galt zudem Frauen in Not zu bera ten bei der Wohnungs und Arbeitssu che zu helfen und Prostituierten Aus stiegsangebote zu machen Weiterhin hoffte die Behörde nicht erneut auf peinliche Weise in die Schlagzeilen zu geraten Polizisten hatten Bürgerinnen für Prostituierte gehalten und zwangs weise auf Geschlechtskrankheiten un tersuchen lassen Ins Visier geraten waren diese Frauen weil sie lediglich zu laut gelacht oder ein zu buntes Kleid getragen hatten Henriette Arendt bekam ihre Dienst kleidung eine Schwesterntracht und ging mit Schwung an ihre Aufgabe die sie als ganz selbstständigen Pos ten schätzte Bald hielt die 29 Jähri ge bei Vereinen und Gemeinden Vorträ ge über ihre Arbeit mit verwahrlosten und der Verwahrlosung entgegense hende Frauenspersonen Für die ge bürtige Königsbergerin stand fest Prostituierte brauchen mehr präven tive Hilfeangebote statt Strafen ledi ge Mütter Obdachlose und Frauen mit geistiger Behinderung zudem mehr staatliche Unterstützung Polizeichef Karl Wurster war stolz auf seine jun ge Beamtin Lückenhafter Kinderschutz Henriette Arendt war bei ihrer Ar beit auch mit misshandelten Kindern konfrontiert 1907 kritisierte sie in einem öffentlichen Vortrag das Kin derfürsorgewesen als reformbedürf tig Nicht immer waren bei Notfällen die Zuständigen erreichbar Oder die privaten kirchlichen und städtischen Stellen reagierten zu langsam und zu bürokratisch Die Zuständigkeiten wa ren verzweigt und verzwickt Noch brannte der Polizeiassistentin der Fall des kleinen Wilhelm Mörgenthaler im Gedächtnis Das Baby war verhungert und verdurstet weil die Fürsorge zu spät einschritt Die offensive Wortmeldung der jun gen Beamtin wurde als taktlos un weiblich und preußisch aufgefasst Warum nur haderten ihre Diensther ren bekamen sie Arendts Kritik in Zei tungsartikeln zu lesen und nicht in internen Dienstakten Die Stadtver waltung und die Polizei sahen sich als rückständig hingestellt Auch die etablierten Fürsorgeor ganisationen reagierten gereizt Um Macht und Einfluss bangte die Evange lische Stadtmission unter der Leitung von Theophil Wurm dem späteren württembergischen Landesbischof Um Einfluss fürchteten auch die eta blierten Kinderrettungsvereine der ehrenamtlichen Honoratioren Frau en die in Stuttgart 163 ehrenamtli che Waisenhelferinnen stellten Denn die Polizeiassistentin plante mit Un terstützern einen unabhängigen Dach verband zu gründen der Hilfeleistun gen koordinieren und Kindern in Not schnell helfen sollte Doch die alte Elite blockierte Arendts Vorhaben und er richtete unter dem Druck der öffent lichen Meinung eine eigene Koordinie rungsstelle Ärger mit dem Vorgesetzten Was für den Kinderschutz ein Fort schritt war geriet für Stadtpolizeirat Wurster zum Dilemma Arendts Chef war durch die zahlreichen Beschwer den unter Druck geraten Die junge Polizeibeamtin klagte Er der mir bis zum 1 Februar 1907 durchaus wohl wollend gegenüberstand und mir mit Rat und Tat behilflich war wurde jetzt kalt und abweisend und plagte mich Dienstausweis der Polizeiassistentin Henriette Arendt Quelle Landesarchiv Baden Württemberg Abt Staats archiv Ludwigsburg F 801 Bü 26

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