2forum kriminalprävention 1 2023 EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser Ich krieg die Krise heißt ein Podcast des Norddeutschen Rundfunks der sich mit den sozialen Auswirkungen der ak tuellen Problemlagen im Alltag in Deutschland beschäftigt Der Krisenbegriff als zeitdiagnostische Kategorie ist nicht neu und von verschiedenen Fachdisziplinen gut durchdekliniert Der Podcast bringt die dem Begriff in newohnende Emotionalität zum Ausdruck Krisen werden nicht nur als objektives Geschehen wahrgenommen son dern zugleich subjektiv erlebt bewertet und konstruiert Bereits 20212 haben Wissenschaftler Intellektuel le und Publizisten im Kursbuch 1 darüber nachgedacht was moderne Gesellschaften prägt und verändert was sie antreibt und hemmt was sie befreit und behindert Der damalige Titel Krisen lieben 170 deutet eine wi dersprüchliche Differenzierung und Codierung von Krisen aus unterschiedlichen Perspektiven an und sieht auch die Chancen die aus der Krise wieder in die Normalität führen können Die Moderne so heißt es erlebe sich als krisen haft und werde dann tatsächlich krisenhaft wenn sich zu einfache Lösungen für die Krisenbewältigung durch setzen Krise wird vielfach als Ausnahmezustand charakteri siert der in eine wenn auch neue Normalität zurück pendeln bzw dorthin geführt werden kann In einem wei teren Kursbuch 209 geht es zehn Jahre später um das Verhältnis von Ausnahmezustand und Normalität bzw um den Ausnahmezustand Normalität Normalität hört sich an als bezeichne sie einen unpro blematischen und wünschenswerten Zustand Man muss nicht lange hinschauen um einen Eindruck davon zu be kommen dass dies eine gewagte These ist Grenzen ver schwimmen Wahrnehmung zerfasert Alles könnte auch anders sein was ist schon normal Krisen sind dynamisch und erzeugen Veränderungen die eine Normalisierung einleiten oder die Krise fortsetzen Ob die Krise also der Ausnahmezustand zum Normalfall wird lässt sich vermutlich erst anhand im Nachhinein for mulierter Kriterien feststellen Normalität ist nur ein Zu stand der eine Ausnahme davon darstellt wie es hätte sein können Die Konjunktur von Resilienz Konzepten hängt mit den Risiken und Unsicherheiten im Hinblick auf die zukünfti ge Normalität zusammen Robustheit Solidarität Zusam menhalt innerhalb der Gesellschaft sowie politische An passungs und Handlungsfähigkeit sind auf der kollektiven Ebene als förderliche Resilienz Faktoren zu nennen Schließlich wird im aktuellen Kursbuch 213 die Bedeu tung des Zufalls in den Kontext krisenhafter gesellschaft licher Entwicklungen gestellt Alles kein Zufall und wir hätten es vorhersehen können oder So ein Zufall und wir können jetzt das Beste daraus machen Das Konzept Se rendipität macht sich das Potenzial der Zufälligkeit zunut ze etwa indem man die Wahrscheinlichkeit erhöht dass etwas positiv zufällig passieren kann Weiterhin geht es um die Fähigkeit mit dem ungünstig Unerwarteten kons truktiv umgehen zu können Es grenzt sich von der Ten denz ab vor allem negative Dinge aufzugreifen Der Deutsche Präventionstag DPT knüpft an die Diskus sionen an und stellt die Zusammenhänge zwischen Krisen und Prävention her Auf die unterschiedlichen Expertisen die im Kongressgutachten des 28 DPT zusammengefasst sind weist der kurze Überblick von Gina Rosa Wollinger und Claudia Heinzelmann hin Prävention im Krisenkontext betrifft sowohl die Ab wendung bekannter Risikofaktoren bzw die Stärkung von Schutzfaktoren als auch das Zurechtkommen mit un erwarteten Entwicklungen bzw Ereignissen im Sinne ei nes professionellen Krisenmanagements Schließlich gilt es für die nächste Krise bzw den krisenhaften Normalzu stand zu lernen und resilienter zu werden Mit der Frage wie Kommunen im Dauerkrisenmodus besser funktionieren beschäftigt sich Lawrence Schätz le in seinem Beitrag zum Projekt PanReflex Jan L Wilhelm et al gehen der auch im Krisendiskurs relevanten Frage nach wie sich die Erkenntnisse aus kommunalen Sicherheitsanalysen in eine konstruktive Präventionspla nung überführen lassen Dominik Röding et al schließen mit einem Beitrag zur Wirksamkeit der kommunalen Prä ventionsstrategie Communities That Care an die sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Resilienz stärken kann Die Wahrnehmung von Unsicherheit ist im öffent lichen Raum häufig mit bestimmten Orten verknüpft Im Projekt Sicherheit im Ludwigsburger Bahnhofsviertel SiL Ber geht es darum Sicherheit und Aufenthaltsqualität vor Ort auszutarieren Josua Schneider Tim Lukas unter suchen das Polizeivertrauen als Resilienz Faktor in diver sitätsgeprägten Stadtquartieren Schließlich berichten wir vom neuen berufsbegleiten den Masterstudiengang Kriminologie und Kriminalpräventi on mit dem die Professionalisierung der Präventionsar beit in Deutschland gestärkt werden soll Eine gewisse Gelassenheit die Unverständliches und Un gerechtes zuweilen ertragen lässt ohne dabei die Kri se zu kriegen sowie Mut und Kraft zum Weitermachen in Richtung positiver Veränderung liefert ist nun an der Zeit Vielleicht finden die Themen bei Ihnen Anklang Las sen Sie gerne positive Überraschung zu Alles Gute für einen schönen Sommer und bis zum nächsten Mal im September Herzliche Grüße Ihr Wolfgang Kahl 1 Das Kursbuch war über Jahrzehnte hinweg eine Institution Es wurde 1965 von Hans Magnus Enzensberger gegründet und entwickelte sich bald zu dem meinungsbil denden Organ der Bundesrepublik das die intellektuellen Diskurse des Landes entscheidend mitgeprägt hat Es wurde Mitte 2008 eingestellt Seit Februar 2012 er scheint das Kursbuch wieder und startete mit dem Titel Krisen lieben Herausgeber ist u a der renommierte Münchner Soziologieprofessor Armin Nassehi Chefre dakteur der Publizist und Politologe Peter Felixberger

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