forum kriminalprävention 1 2017 2 EDITORIAL Lieber Leserinnen und Leser große Teile Europas waren als Terri torien und westlich des Eisernen Vorhangs als demokratisch markt wirtschaftlich geprägte Gesellschaf ten in den über 70 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg frei von bürger kriegerischer Massen Gewalt Die hohe Funktionsfähigkeit moderner Staatlichkeit ist seitdem zu einer ver lässlichen Erfahrung für das friedliche Zusammenleben geworden Tötende und körperlich verletzende Gewalt wird immer mehr normativ und mora lisch geächtet Auf dem Weg zu immer weniger Gewalt Norbert Elias 1939 beschreibt De legitimierung und Abnahme von Ge walt soziologisch als einen Prozeß der Zivilisierung und Max Weber 1923 betont als notwendige Voraus setzung ein staatliches Gewaltmono pol das sich idealerweise so ergänzt die Soziologin Teresa Beck 2016 ver tragstheoretisch und vernunftbasiert als Entscheidung vernünftiger Sub jekte aus Einsicht von der eigenen Ge walttätigkeit keinen Gebrauch zu ma chen legitimiert Gewaltarmut gehört seit längerer Zeit zur Alltagserfahrung der bürgerli chen Gesellschaft im alten Europa und bewirkt widersprüchliche Effekte Ei nerseits erzeugt erfolgreiche Gewalt regulierung vor allem bei den intellek tuellen Eliten die Zuversicht Gewalt sowohl innergesellschaftlich als auch weltweit signifikant reduzieren zu können etwa Manuel Eisner und Ste ven Pinker 2015 Andererseits werden in Zeiten des Friedens die gewöhnli chen Gewaltakte zunehmend sensi bler wahrgenommen und immer stärker über alle medialen Kanäle skandalisiert und verbreitet Der islamistische Extremismus bzw Terrorismus zum Beispiel profitiert vom Mechanismus der Aufmerk samkeits und Angstspirale die nach gewaltsamen Attentaten durch inten sive und dramatisierende Berichter stattung in Bewegung gebracht wird ohne dass dadurch wiederum die Funktionalität des bürgerlichen All tags gefährdet ist Die Menschen in europäischen Gesellschaften leben trotz der wahrgenommenen Bedro hungen in im Frieden weitgehend normal weiter Diese Normalität lässt die Annahme zu Gewalt sei ein Merk mal vormoderner Gesellschaften und könne im Prozess vonModernisierung und Zivilisierung überwunden wer den Jene Visionäre die in einem glo balen Sinne gewaltfreie Gesellschaf ten und weitgehend friedliche zwischenstaatliche Beziehungen vor hersehen übersehen allerdings die anthropologische Grundkonstellation der prinzipiellen Gewaltfähigkeit des Menschen Teresa Beck erklärt einen zu großen Gewaltfreiheitsoptimis mus zum Mythos des Verschwindens der Gewalt Die zweifelsohne gewalteinhegen den Effekte von Zivilisierung bleiben in ihrer Wirkung begrenzt Armin Na sehi 2017 beschreibt Gewalt daher zugespitzt als einen Normalfall und lobt die Vermeidung von Gewalt als ei nen kalten Frieden der stets durch die Möglichkeit neuer Gewalt bedroht ist Bezugnehmend auf die sozial psychologischen Interpretationen menschlicher Gewalt durch Jan Phil ipp Reemtsma sieht Nasehi in der Vorführung von Gewalt potenzial bzw in der Androhung weiterer mög licher Gewalt eine Sinngebung Der soziale Gewinn von Gewalt liege darin dass sie vor allem an Dritte ad ressiert ist die sich auch bedroht ab geschreckt oder aber beschützt füh len können DieseGrundkonstellation möglicher Gewalt könne auch durch Gewaltverbote und kulturelle Ent wicklungen nicht aufgehoben wer den sodass vernunftgeleitete Gewalt kontrolle als Ultima Ratio auf Ge waltandrohung und ausübung eben falls nicht verzichten dürfe Rechts staatlich legitimierte sanktionierende Gewalt androhung durch staatliche Institutionen bleibe ein zentrales Ele ment zur Disziplinierung innerhalb der Gesellschaft und zwischen Staa ten die sich prinzipiell an einem völ kerrechtlichen Gewaltverbot orientie ren Die Prognose dass sich Gewalt welt weit signifikant und dauerhaft verrin gern werde sollte man vor dem Hin tergrund der Grundkonstellation der Gewaltfähigkeit des Menschen und mit Blick auf die gegenwärtigen inter nationalen Konflikte und Krisen aller dings nicht zu voreilig wagen Zum Diskurs über Strategien der Gewalt und Extremismusprävention Dennoch Prävention versteht sich als multidisziplinäre Herangehenswei se um Gewaltursachen und verläufen zuvorzukommen oder sie abzuwen den Stefan Voß und Erich Marks skizzie ren in ihrem Beitrag wie sich die Ge waltprävention in Deutschland in den letzten 25 Jahren entwickelt hat Cat rin Trautmann Andreas Zick verengen den Blickwinkel auf islamistische Radi kalisierung und geben einen systema tisierenden Überblick über Präventi onsansätze in Deutschland der von Christian Illgner Fredericke Leuschner Martin Rettenberger umAspekte der Prävention im Justizvollzug ergänzt wird Die Beiträge zeigen dass es per spektivisch um die Entwicklung einer Strategie gehen muss die über eine bloße Aneinanderreihung zahlreicher Maßnahmen hinauszugehen hat wenn bessereWirkungen in den Hand lungsfeldern der Prävention erreicht werden sollen Voß Marks fordern daher eine Strategie die darauf setzt nicht nur verbindliche Ziele für die Weiterentwicklung der Gewaltpräven tion zu setzen sondern auch die Schritte zur Umsetzung dieser Ziele verbindlich festlegt unter Einbe ziehung von Bund Ländern und Kom munen und Nichtregierungsorganisati onen von Praxis Wissenschaft und Verwaltung in diesem Heft S 26 Die Vorstellung eines koordinierten Gleichklangs der Präventionsaktivitä ten in den unterschiedlichen Hand lungsebenen und bereichen setzt eine hohe Kompromissfähigkeit aller Beteiligten voraus die nicht immer anzutreffen ist bzw häufig den eige nen Interessen geopfert wird Ein sol cher Strategieentwicklungsprozess ist schwierig und kann m E nur für Teilbereiche und in Teilschritten erfol gen Die Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention DFK mit ihrer Forschungsstelle Nationales Zentrum für Kriminalprävention NZK knüpft für den Teilbereich der Extremismus prävention und Demokratieförde rung an die diesbezügliche Strategie der Bundesregierung 2016 an die die vielfältigen Maßnahmen und Förde rungen auf Bundesebene ressort übergreifend in einen ersten pro grammatischen Einklang bringt DFK NZK beabsichtigen demzufolge hier bei in verstärkter Art und Weise For schung Evaluation und Qualitätssi cherung systematisch und nachhaltig zu fördern Über Ergebnisse und neue Impulse berichte ich gerne in den nächsten fk Ausgaben Liebe Leserinnen und Leser bitte teilen Siemeinen Optimismus dass es 2017 gelingen könnte auf der Bundesebene die notwendigen Rah menbedingungen für eine strategisch angelegte Gewalt und Extremismus prävention herzustellen DFK und NZK sind motiviert an einer planvollen Ge staltung des weiteren Prozesses aktiv mitzuwirken Herzliche Grüße Ihr Wolfgang Kahl

Vorschau DFK forum kp 01-2017 Seite 4
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