forum kriminalprävention 2 20172 EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser die von Emil Durkheim Ende des 19 Jahrhunderts gestellte zentrale Frage nach dem sozialen Band lien social welches die Gesellschaft zu sammenhält hat nicht an Aktualität verloren Heute wie damals geht es um Grundlagen und Formen mensch lichen Zusammenlebens um soziale Integration jetzt unter den Bedin gungen einer sich immer ausdiffe renzierenden Gesellschaft vor dem Hintergrund von politischer Europäi sierung sowie ökonomischer und kul tureller Globalisierung Flucht aus Kriegs und Hungergebieten sowie Wanderungen in der Hoffnung auf ein besseres Leben sind für die Aufnah megesellschaft der Geflüchteten und Zugewanderten sowohl praktische Herausforderung als auch innergesell schaftlicher Bewährungsprobe Im Bewusstsein des permanenten allerdings nicht gleichmäßig getakte ten Wandels von Lebensbedingungen und politischen Verhältnissen sollte Durkheims Frage erweitert werden Was hält die Gesellschaft zusammen und wie können Veränderungen ge staltet werden ohne den gesell schaftlichem Zusammenhalt zu ge fährden Die Debatte ist intellektuell herausfordernd und politisch sehr re levant Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat daher jüngst seine Sicht zur Frage Was uns im Innersten zu sammenhält dargestellt und mit dem Begriff der Leitkultur verknüpft Über Sprache Verfassung und Ach tung der Grundrechte hinaus gibt es etwas was uns im Innersten zusam menhält was uns ausmacht und was uns von anderen unterscheidet www bmi bund de Der Minister lädt zu einer Diskussion über eine Leitkul tur für Deutschland ein Ob nun das in früheren Debatten bereits aufgeladene Reizwort Leit kultur der geeignete Impuls für die Auseinandersetzung über soziale Identität in modernen Gesellschaften ist kann in Frage gestellt werden zu mal es zunächst den Beifall derjeni gen herbeiführt die Abgrenzung und Abwertung damit verbinden sowie Homo genitätsideale einer imaginä ren Abstammungsgemeinschaft pro pagieren In einem solchen Sinne würde Leitkultur zum Gegenbegriff einer offenen Gesellschaft in der Dif ferenz und Vielfalt Normalität sind Entsteht nun gesellschaftlicher Zu sammenhalt durch die Vergewisse rung von traditionellen kulturellen Konsensmustern oder im Erlernen und Aushalten dynamischer Unter schiedlichkeit bei konsequenter Ein haltung der Verfahrensregeln einer demokratisch rechtsstaatlich verfass ten Gesellschaft Das christliche Abendland wäre wahrscheinlich kein geeigneter Bezugsrahmen bei der aktuellen Suche nach dem sozia len Kitt der die Menschen einer Ge sellschaft verbindet Bürger innen fühlen sich durch steigende Zuwanderung in ihren Le bensgewohnheiten und gewisshei ten bedroht ein nicht zu übersehe ner Befund Es wäre jedoch falsch den Menschen Sicherheit durch die Vorstellung einer statischen kulturel len Ordnung zu vermitteln die es im unausweichlichen Kulturkontakt durch Zuwanderung zu verteidigen gelte gekoppelt mit Mechanismen bestmöglicher Abschottung Viel mehr wäre es hilfreich die Bevölke rung zu motivieren die Chancen einer vielfältigen offenen Integrati onsgesellschaft zu erkennen und Zu sammenhalt durch gesellschaftliche Teilhabe aller in Deutschland leben den Menschen zu erreichen Gesellschaftlicher Zusammenhalt bedeutet integrierende Vielfalt Plu ralität von Meinungen und Anschau ungen sind Ausgangspunkte für die Suche nach Gemeinsamkeiten Ähnli ches gilt für die Annäherung kulturel ler Verschiedenheiten Gesellschaft licher Zusammenhalt entsteht im Erlebnis von zivilem Umgang Fair ness und Gemeinsinn Eine humane Gesellschaft benötigt daher gute Substrukturen kleine Kieze und Nach barschaften Netzwerke in de nen man sich zurechtfindet und zu Hause fühlt Zusammengehörigkeit entsteht in der Begegnung und ih rem Einüben Sinn Werte und Moral werden in den Lebenswelten mit ih ren Vorbildern und Verhaltensmodel len angeeignet Erforderlich sind da her viele Anstrengungen um das Zusammenleben in den Sozialräumen zu aktivieren Die Bewältigung der In tegrationsaufgaben im andauernden Zuwanderungsprozess könnte dabei auch eine stimulierende Chance sein und sollte nicht nur als administrative Belastung wahrgenommen werden Die offene Gesellschaft verfolgt nicht die Ziele bestmöglicher Harmo nie und allgemeiner Zufriedenheit ih rer Mitglieder sondern ihre demokra tische Praxis besteht im permanenten Aushandeln von Konflikten und im Widerstreiten von Interessen Sie lebt von Beteiligung Kompromiss und im Aushalten von Mehrheitsentschei dungen die mit friedlichen demo kratischen Mitteln weiterverhandelt und revidiert werden können Die Bürger innen sind immer mitverant wortlich und müssen mitgestalten um Verbesserungen zu erreichen Kurzum das Leitbild einer offenen Gesellschaft die auf Veränderungsan forderungen anpassungsfähig re agieren kann und die Mitglieder in ih rem Engagement herausfordert ist einem Kulturmodell vorzuziehen das Sitten Gewohnheiten Gebräuche Üblichkeiten und Traditionen in den Vordergrund stellt Gesellschaftlicher Zusammenhalt wird das Ergebnis kul tureller Begegnung und Annäherung werden wenn Dialog ermöglicht bzw vielfältig gefördert wird Die Beiträge in der aktuellen Aus gabe Integrationsgesellschaft Prä vention sowie der 22 Deutsche Prä ventionstag mit dem Motto Prävention und Integration zeigen dass präventives Handeln eine wich tige Rolle spielt nicht nur um Men schen vor Kriminalität zu schützen sondern um eine offene Gesellschaft mitzugestalten Zu guter Letzt in eigener Sache Es gibt positive Signale für die Stif tung DFK und ihre Arbeitsstelle Na tionales Zentrum für Kriminalprä vention Die Bundesregierung hat im Rahmen der Verbesserung und Verstärkung der Prävention von isla mistischem Extremismus erklärt DFK und NZK perspektivisch mitein ander verschmelzen und dauerhaft verstärken zu wollen Liebe Leserinnen und Leser blei ben Sie gespannt auf die kommen den Veränderungen für die Präventi on auf Bundesebene und lesen Sie bitte entspannt das neue Heft mit den vielfältigen Beiträgen Mein Kol lege Henning van den Brink und ich freuen uns viele von Ihnen beim DPT in Hannover zu treffen Herzliche Grüße Ihr Wolfgang Kahl

Vorschau DFK forum kp 02-2017 Seite 4
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