17forum kriminalprävention 1 2018 HÄUSLICHE GEWALT Vorgehen bei Fällen mit besonderer Gefährdung Jährlich werden in Bayern im Rah men von häuslicher Gewalt über 3000 Mal Bedrohungen 241 StGB ange zeigt3 also die konkrete Drohung mit einem Verbrechen wie zum Beispiel ich bring dich um meist dem Opfer direkt gegenüber Welche dieser Fälle müssen zur Verhinderung von Schlim merem nun besonders in den Blick ge nommen werden In welchen Fällen ist diese Drohung nicht ernst gemeint Zunächst liegt es bei den Erstzu griffskräften vor Ort die Situation ein zuschätzen und Sofortmaßnahmen nach dem Polizeiaufgabengesetz PAG anzuordnen und durchzuführen Un verzüglich nach der Aufnahme wird die Anzeige an den Schwerpunktsach bearbeiter in häusliche Gewalt der zuständigen Polizeiinspektion weiter gegeben Im Bereich des Polizeipräsidi ums München erfolgt die Weiter be ar bei tung beim Kommissariat 22 das zur zentralen Bearbeitung für den Bal lungsraum München vor über zehn Jah ren eingerichtet wurde Die meisten Sachbearbeiter für Häusliche Gewalt haben im Laufe der Jahre ein Gespür dafür entwickelt ob eine Bedrohungssituation als beson ders gefährlich einzustufen ist Sich al lerdings nur auf das Bauchgefühl zu verlassen wäre nicht professionell und deswegen wurden Elemente aus dem Forschungsprojekt Gewalteskala tion in Paarbeziehungen 4 in eine be stehende Rahmenvorgabe Häusliche Gewalt eingearbeitet So wurden Ins trumentarien geschaffen die eine Ge fährlichkeitseinschätzung erleichtern Außerdem wurde die Führungsverant wortung des Vorgesetzten explizit festgeschrieben und unterschriftlich auf dem Erstbericht der eingesetzten Streifenbeamten beim Einsatz vor Ort fixiert Maßnahmen des operativen Opfer schutzes werden i d R anhand vor handener Erkenntnisse zum Täter ge prüft wenn es bereits zuvor zu Straftaten wie Körperverletzung oder Bedrohung kam Ist die Tatausführung potenziell le bensbedrohlich gewesen weil z B das Opfer gewürgt wurde oder der Täter gegenüber unbeteiligten Drit ten die Todesdrohung bekräftigt hat Hat der Täter gegen gerichtliche An ordnungen nach Gewaltschutzgesetz verstoßen und sind ihm auch wieder holte Grenzsetzungen egal Kommen destabilisierende Faktoren dazu wie eine psychische Auffälligkeit oder Erkrankung des Täters finanzi elle Schwierigkeiten fehlende soziale Bindungen drohender Wohnungs oder Arbeitsplatzverlust oder Suizid androhungen Ist die ehemalige Beziehung für den Täter so selbstwertrelevant dass al leine die Trennungsabsicht des Op fers für ihn eine extreme Krisensitua tion darstellt Oder fühlt er sich durch eine Trennung von seinen Kindern in seinen Rechten als Vater beschnitten und sieht sich selbst in der Rolle des Opfers Diese und andere Fragen werden in einer Fallkonferenz in Erwägung gezo gen und fließen in die Gefährlichkeits einschätzung ein Täterorientierte Maßnahmen wer den in jüngster Vergangenheit immer häufiger in Erwägung gezogen um dem Opfer das die Last des Vorfalles trägt nicht auch noch die Folgemaß nahmen aufzubürden So wird geprüft ob die Voraussetzungen für die Anord nung einer Untersuchungshaft vorlie gen Die Entscheidungshoheit liegt hier bei der Justiz und bezieht alles bereits Geschehene ein allerdings nicht eine Gefahrenprognose In den meisten Fäl len der häuslichen Gewalt handelt es sich zudem um Straftaten wie Körper verletzung Bedrohung und oder Belei digung Für diese Delikte mit geringer Strafandrohung wäre insbesondere bei Erstverstößen eine Untersuchungshaft unverhältnismäßig Die Gefahrenabwehr mit dem kriti schen Blick in die Zukunft ist die Aufga be der Polizei Das PAG bietet der Poli zei eine Vielzahl von Maßnahmen Gefährderansprache Platzverweis Ge wahrsam in Bayern mit richterlicher Entscheidung bis zu drei Monaten möglich hin zur neu geschaffenen Möglichkeit der gefahrenabwehrenden Fußfessel für eine begrenzte Zeit Opferorientierte Maßnahmen mit dem Ziel das Opfer in Sicherheit zu bringen werden i d R parallel ver folgt Hier bietet sich das große Netz von Frauenhäusern an In diesem ge schützten Bereich kommen die Opfer zur Ruhe und werden in ihren weiteren Plänen beraten und unterstützt Wenn die Aufnahme in ein Frauen haus nicht gelingt sei es dass Aufnah mekriterien nicht erfüllt werden kön nen oder dass kein freier Platz zur Verfügung steht wird in derart schwerwiegenden Fällen die Polizei das Opfer an einen unbekannten Ort umsie deln Dieses Vorgehen ähnelt Maßnah men des Zeugenschutzes Das Zeugen schutz Harmonisierungsgesetz ZSHG sieht Regelungen wie Namensänderun gen Einbürgerungen bis hin zur Ali mentierung vor Diese Regelungen gelten nicht für den operativen Opfer schutz wären gleichwohl sehr sinnvoll Ähnliche Maßnahmen in diesem Be reich stützen sich wiederum auf das PAG welches der Polizei auch sämtliche entstehenden Kosten aufbürdet Ein zentraler Aspekt bei derartig ein schneidenden Maßnahmen darf nicht vergessen werden Die Freiwilligkeit der Betroffenen ist Grundlage jeglichen Handelns Die freie Lebensgestaltung ist nachhaltig womöglich lebenslang be einträchtigt Diese alternativlose Kon sequenz ist für den größtmöglichen Schutz des Opfers notwendig trotz dem aber nicht ohne Weiteres zu erwar ten Fazit Es erscheint notwendig und mit Blick auf das Opfer nur fair den Täter als Verursacher der Gefährdungslage so stark als möglich in den Fokus zu nehmen Damit werden deutliche Zei chen gesetzt und das betroffene Opfer so wenig wie möglich in der Lebens weise beeinträchtigt Die Bewertung von Gefährdungs sachverhalten ist ein dynamischer Pro zess der stetig den aktuellen Entwick lungen angepasst werden muss Auch wenn Maßnahmen im operativen Op ferschutz Erfolg zeigen weil sich der Täter an Anordnungen hält Kooperati on signalisiert und sich von einem Rechtsanwalt beraten lässt kann es dazu kommen dass sich die Lage wie der verändert wenn erneut eine De stabilisierung des Täters eintritt Die Mühe und der Aufwand den die beteiligten Institutionen insbesonde re die Polizei betreiben sind es wert wenn verhindert werden kann dass eine Frau von ihrem Mann getötet wird dass vielleicht Kinder ohne Mut ter und dann auch ohne ihren Vater aufwachsen müssen Andrea Kleim ist Kriminalbeamtin beim Polizeipräsidium München und dort seit 2004 im Kommissariat Prävention und Opferschutz tätig Als Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsop fer sind ihre Schwerpunkte Beratung und Öffentlichkeitsarbeit vor allem bei häuslicher Gewalt und Sexualdelikten Kontakt muenchen opferberatung polizei bayern de Beratungstelefon 0 89 29 10 44 44 4 Prof Dr Luise Greuel IPoS 2009

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