38 forum kriminalprävention 2 2018 GEWALTPRÄVENTION Innerfamiliäre Gewalt als Risikofaktor Regelmäßiges bzw wiederkehren des Gewaltverhalten entsteht und ver festigt sich im Rahmen der Persönlich keitsentwicklung junger Menschen als multikausaler Prozess von individuell wirkenden Risikofaktoren und der je weils eigenen Resilienz Nur von ei nem interaktionistischen Standpunkt ist es möglich die komplexen wie dy namischen Zusammenhänge zu erklä ren in denen Risiko und Schutzfakto ren miteinander agieren und zu einer gewaltdelinquenten Entwicklung füh ren können Im Rahmen der Studie Böse Mädchen Eine Risikoanalyse weiblicher Gewaltkriminalität in der Jugendphase wurden eine Reihe von Faktoren identifiziert die besonders risikoerhöhend bei der Verfestigung gewaltdelinquenter Strukturen bei weiblichen Jugendlichen und Heran wachsenden wirken Risikofaktoren im Bereich der Familie sind demnach be sonders relevant Die Familie ist die primäre Sozialisationsinstanz für Kin der und heranwachsende Menschen sowohl hinsichtlich ihrer zeitlichen Einwirkung im Entwicklungsverlauf als auch hinsichtlich ihrer Intensität Nicht nur die familiären Verhältnisse auch die Eltern Kind Bindung und das Erziehungsverhalten der Eltern ber gen eine Menge an Ressourcen und Ri siken für die kindliche Entwicklung Innerfamiliäre Gewalt begünstigt die Entwicklung von gewalttätigem Ver halten bei Kindern und Jugendlichen in besonderer Weise Gewalt in Familien kann viele Gesichter haben sie reicht von indirekten Formen wie beispiels weise emotionaler Vernachlässigung oder psychischer Misshandlung bis zu Böse Mädchen Familiäre Gewalt als einer der Risikofaktoren für Gewaltdelinquenz bei jungen Frauen Nina Simone Retzlaff Häusliche Gewalt in der Familie insbesondere zwischen Eltern bzw Erzie hungspersonen ist einer der stärksten Risikofaktoren gegen eine gesunde Entwicklung junger Menschen Eine empirische Analyse der Entwicklung von weiblicher Gewaltdelinquenz im Jugendalter zeigt die Intensität der Einwir kung häuslicher Gewalt auf den Ausbau gewaltdelinquenter Verhaltensweisen bei Mädchen und jungen Frauen den direkten Formen wie körperliche Gewalt und sexueller Missbrauch Das Resultat dieser negativen Beziehungs erfahrung und der möglicherweise traumatischen Gewalterlebnisse kön nen diverse Entwicklungs und Verhal tensstörungen sein die wiederum die Wahrscheinlichkeit für eine eigene Ge walttätigkeit erhöhen Zusätzliche As pekte entstammen den Modellen der Lerntheorie Gewalttätige Eltern1 die nen demnach als Verhaltensvorbilder für ihre Kinder welche die ihnen vorge lebten normativen Wertorientierun gen und Konfliktlösungsstrategien ad aptieren Durch die Effekte familiärer Gewalt auf die Persönlichkeitsstruktur und durch den Einfluss des Modell lernens ergeben sich auf der Seite des kindlichen Opfers mindestens drei mögliche Reaktionen die die Wahr scheinlichkeit erhöhen selbst ebenso Gewalt anzuwenden 2 Entwicklung der Persönlichkeits struktur und der sozialen Informati onsverarbeitung Kindliche und jugendliche Gewalt opfer entwickeln beispielsweise we niger Empathie sowie weniger Mit gefühl können sich selbst schlechter kontrollieren und sind oftmals in ih rer Außenwahrnehmung gestört Sie geraten so auch außerhalb der Familie häufiger in Konflikte indem sie Situationen und Interaktionen fehlinterpretieren Mangel an positiven demnach ge waltlosen Bewältigungs und Kon fliktlösungsstrategien Durch das Fehlen positiver Modelle entwickeln die Kinder gewalttätiger Eltern nur eingeschränkte Verhal tensmuster für Problemsituationen Es fehlt ihnen oftmals an deeskalie renden Handlungsoptionen Wenn sie in Konflikte geraten sind sie we niger in der Lage diese ohne Gewalt zu lösen Gewalt als legitimes Mittel Durch die Normtransferfunktion der Eltern rückt Gewalt als Handlungsoption in den Möglichkeitsrahmen Gewalt wird als gerechtfertigte Lösungs strategie erlebt Ferner werden Hemmungen abgebaut sich selbst gewalttätig zu verhalten Kinder misshandelnder Eltern kennen also Gewalt als Mittel um Ziele zu errei chen oder etwa um ungewollte Situ ationen zu umgehen Die Verbreitung elterlicher Gewalt wird durch empirisch quantitative Studien mit differierenden Zahlen be legt Sie reichen von rund einem Vier tel3 bis hin zu über 50 4 von jungen Menschen die bereits von häuslicher Gewalt durch Eltern oder Erziehungs personen betroffen waren Familien mit einem niedrigen sozio ökonomi schen Status die unter einer Reihe von Benachteiligungen und Belastun gen leiden haben eine mehr als dop pelt so hohe Gewaltrate als andere Fa milien 5 Weitere Studien besagen auch dass Jugendliche die im letzten Jahr Opfer elterlicher Gewalt wurden dreimal häufiger selbst Gewalt gegen eine andere Person angewendet ha ben als andere nicht betroffene Ju gendliche 6 Vornehmlich männliche Kinder und Jugendliche mit Migrati onshintergrund sind zudem dreimal häufiger von häuslicher Gewalt betrof fen als Gleichaltrige ohne Migrations hintergrund 7 1 Der Begriff der gewalttätigen Eltern wird an dieser Stelle synonym benutzt und schließt auch Erziehungspersonen mit elternähnlichem Status ein die nicht die leiblichen Eltern sind 2 Retzlaff Nina Simone 2017 Böse Mädchen Eine Risiko analyse weiblicher Gewaltkriminalität in der Jugendphase München S 78 ff 3 Bussmann Kai D 2005 Report über die Auswirkungen des Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung Bundesministerium der Justiz Berlin S 19 4 KFN Schülerbefragung 1999 Innerfamiliäre Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und ihre Auswirkungen Forschungsbericht Nr 80 Kriminologisches Forschungs institut Niedersachsen e V Hannover S 10 ff 5 Deegener Günther 2006 Erscheinungsformen und Ausmaße von Kindesmisshandlung In Heitmeyer Wilhelm Schröttle Monika Hrsg Gewalt Beschreibun gen Analysen Prävention Bonn 28 ff 6 KFN 1999 S 22 7 Besonders gewaltaffin zeigten sich hier türkische Familien und Familien aus dem ehemaligen Jugoslawien vgl KFN 1999 S 18

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