40 forum kriminalprävention 2 2018 GEWALTPRÄVENTION eine statistische Überprüfung der Da ten ergab einen hochsignifikanten Zu sammenhang zwischen der eigenen Ge walterfahrung durch häusliche Gewalt und der Anzahl der registrierten Kör perverletzungsdelikte der Mädchen 14 Ein ähnliches Bild liefert der Ver gleich der Daten zur Belastung durch familiäre Gewalt als Zeugin auch hier sind die beiden Kategorien der Mehr fachtäterinnen besonders stark be troffen Statistische Zusammenhänge ausgewählter Risikofaktoren Weitere Risikobereiche die zu Ge waltdelinquenz bei jungen Menschen führen können sind eng mit dem Be reich der häuslichen Gewalt verknüpft oder bedingen sich wechselseitig Ab bildung 215 zeigt einen Vergleich der statistischen Zusammenhänge der Ri sikofaktoren für die beiden Kategorien der Mehrfachtäterinnen Das Minus zeichen der Symbolik erscheint für einen nicht signifikanten Zusammen hang in der statistischen Berechnung demnach für eine zufällig zustande gekommene Häufigkeitsverteilung Ein einfaches Pluszeichen stellt ei nen signifikanten Zusammenhang in den Berechnungen vor also eine nicht zufällig zustande gekommene Häufig keitsverteilung Das doppelte Plus symbolisiert ein hochsignifikantes Er gebnis in der Berechnung der Zusam menhänge und repräsentiert so die am stärksten wirkenden Risikoberei che für den jeweiligen Täterinnentyp Die besonders stark wirkenden Risi ken der Mehrfachtäterinnen aller De liktarten betonen die multifaktorielle Bedingtheit von Delinquenz Die Mäd chen dieser Kategorie sind besonders intensiv von multiplen Risiken in fast al len Lebensbereichen betroffen Inkon sistente Erziehung familiäre Dishar monie die Unterbringung in Heimen und Jugendschutzstellen Schulabsen tismus Rauschmittelkonsum ein un strukturiertes Freizeitverhalten und ein früher Beginn einer kriminellen Kar riere zeichnen das Bild weitreichender Deprivationen in den existenziellen Le bensbereichen der jungen Frauen 16 Die Mädchen mit verfestigten gewaltdelinquenten Strukturen die 224 Mehrfachtäterinnen sind aus statistischer Sicht weniger stark von multiplen Risiken betroffen als die Vergleichsgruppe Nur drei Risikobe reiche zeigen hochsignifikante Ergeb nisse Gewalterfahrung gegen die ei gene Person eine inkonsistente Erziehung und eine erschwerte öko nomische Situation Die Hauptfakto ren für verfestigte gewaltdelinquente Strukturen finden sich folglich in den Deprivationen des familiären Systems und einer entsprechenden Soziallage Daneben bestehen signifikante Ergeb nisse in den Bereichen innerfamiliäre Gewalt Schulabsentismus und Klas senwiederholungen sowie in einem Mangel an Reue und Opferempathie Letztere also Defizite im Bereich der sozialen Kompetenzen und des Sozial verhaltens 17 Die eingehende Analyse18 der Mäd chen mit verfestigten gewaltdelin quenten Strukturen zeigte dass diese Gewalt vor allem im Rahmen eines ge waltaffinen Lebensstils anwenden Durch die gewalttätige und inkonsis tente Erziehung der Eltern sowie das Aufwachsen in schwierigen Sozialla gen wurde Gewalt zu einem legitimen Mittel einem Kommunikationsinstru ment das als normal erfahren und als effektiv eingeschätzt wird In entspre chenden Situationen lässt der norma tive Möglichkeitsraum der Mädchen Gewalt dann als Handlungsressource verfügbar erscheinen und fordert un ter Umständen gewalttätiges Verhal ten in gewissen Interaktionen sogar noch ein Es entsteht somit ein insge samt gewaltaffiner Lebensstil der sich in einem gewaltdelinquenten Sozial verhalten ausdrückt und der somit ha bituelle Strukturen annimmt Dieser Habitus 19 der vor allem aus den Le bensbedingungen der sozialen Her kunft und der familiären Situation her rührt findet seinen Ausdruck beispielsweise im Verhalten der Mäd chen in ihrer Sprache ihrem Auftre ten den Wertorientierungen oder ih ren Interaktionsstrategien Präventionsansätze Wenn Gewalt als normal erfahren wird und sie Teil des normativen Mög lichkeitsraumes ist bringt dies weit reichende Folgen auch für die kom menden Generationen mit sich Gewalt wird auf diese Weise über die Kinder weitergegeben sie bedingt sich ge wissermaßen selbst indem gewalt tätige Eltern die nächste Generation gewaltanwendender Menschen groß ziehen20 Für die Prävention von häus licher Gewalt bedeutet dies dass ent sprechende Programme weiterhin an zwei Punkten ansetzen sollen in der Stärkung der sozialen Kompetenzen der Eltern etwa dem Erlernen gewalt freier Erziehungsmethoden und zu gleich in der Verringerung der depri vativen Faktoren der Familien um so die Belastungsintensität der Eltern zu mindern und Ressourcen für eine ge waltfreie Erziehung freizusetzen Dr Nina Simone Retzlaff ist Kriminalsoziologin und promo vierte unter dem Titel Böse Mädchen Eine Risikoanalyse weiblicher Gewaltkriminalität in der Jugendphase an der Rheinischen Friedrich Wilhelms Universität Bonn Die Disser tation ist als Buch bei der Akademischen Verlagsgemeinschaft München AVM erhältlich Kontakt ninaretzlaff gmx net 14 Retzlaff 2017 S 162 15 Retzlaff 2017 S 167 16 Retzlaff 2017 S 167 17 Retzlaff 2017 S 167 18 Retzlaff 2017 S 167 ff 19 Entsprechend dem soziologischen Habitusbegriff nach Bourdieu Pierre 2000 Zur Soziologie der symbolischen Formen Berlin 20 Bussmann 2005 S 10 Retzlaff Nina Simone Böse Mädchen Eine Risikoanalyse weiblicher Gewalt kriminalität in der Jugendphase AVMpress 211 Seiten ISBN 978 3 96135 003 2 Preis 26 90 Böse Mädchen Anhand einer empirisch quantitativen Studie wid met sich die Autorin jungen Frauen in der Jugendphase die durch kör perliche Gewalt sowohl Rechts als auch Geschlechternormen sprengen Sie greift dabei eine umfassende Reihe an Risikofaktoren auf Unter welchen Bedingungen kommt es zu gewalttätigem Verhalten durch Mädchen und junge Frauen Welche Faktoren wirken dabei besonders ri sikoerhöhend für verfestigte gewalt delinquente Strukturen Im Laufe der Analyse zeigt sich dass die Gewalttätigkeit von Mäd chen und jungen Frauen vielfach Ha bitus ist und nicht ausschließlich deprivativen Lebensbedingungen geschuldet ist Die Studie leistet so mit nicht nur einen Beitrag zur Ju gend und Rechtssoziologie zur Kri minologie und den Gender Studies sie repräsentiert auch ein gesell schafts und geschlechterpolitisch brisantes Thema

Vorschau DFK forum kp 02-2018 Seite 42
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