MIGRATION UND PRÄVENTION 15forum kriminalprävention 4 2018 Was man schon weiß Der aktuelle Forschungsstand Obwohl sich vor allem die Lagebil der und die Kriminalstatistiken der Po lizei z B BKA 2018 auf Bundes und Landesebene um eine differenzierte Beschreibung bemühen hat dies ins gesamt betrachtet eher wenig zu ei ner Versachlichung der Debatte bei getragen Selbst wenn die amtlichen Zahlen zur Delinquenzbelastung sin ken wie es in den letzten Jahren der Fall war das öffentliche Bild geht ba sierend auf einzelnen dramatischen Fällen von einer deutlich dramatische ren Situation aus In diesem Zusam menhang muss festgestellt werden dass kriminologische Erkenntnisse denen zufolge Jugenddelinquenz üb licherweise durch Ubiquität Singula rität und Episodenhaftigkeit geprägt ist Glueck Glueck 1950 Hoops 2009 Stelly Thomas 2004 Tracy Kempf Leo nard 1996 an dieser Stelle wenn es um die Delinquenz junger Geflüchte ter geht wenig Berücksichtigung fin den Nachfolgender Kasten fasst die wesentlichen Essentials aus der Ju gendkriminologie zusammen Den jugendkriminologischen Stu dien auf die sich diese fachlich un umstrittenen Kernaussagen grün den ist gemeinsam dass sie zu Zeiten entstanden sind in denen zwar zu Mi grationsfragen durchaus geforscht wurde3 aber das Thema Geflüchtete und Delinquenz noch keines war das größere Bedeutung hatte Entspre chend ist die Personengruppe der jungen Geflüchteten hier auch nicht speziell betrachtet worden Jenseits des Delinquenzthemas gibt es jedoch bereits einige empi rische Befunde zur Lebenssituati on junger Geflüchteter Zusammen fassend weisen diese Befunde auf die Heterogenität und Vulnerabili tät der Gruppen junger Geflüchte ter hin vor allem in Bezug auf ihre asylrechtliche Lage die Hintergrün de und Erfahrungen auf der Flucht ihre biografische Situation den Grad gesundheitlicher Belastungen die in Deutschland verwertbaren Quali fikationen bzw Bildungsabschlüsse die Sprachkompetenzen und Muster der Lebensführung die Erfahrungen in Deutschland sowie die Wege und Bedingungen der gesellschaftlichen schulischen und beruflichen Integ ration vgl z B Lechner Huber 2017 Matthes et al 2018 Darüber hinaus hat sich in den letz ten drei Jahren vor allem die Zahl der Praxisberichte aus dem Bereich der sozialen Arbeit sei es im Kontext der Asylsozialarbeit der Arbeit mit Familien der Arbeit in den Gemein schaftsunterkünften oder der statio nären Angebote und anderen Ange bote für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vgl z B AGJ 2017 Brinks et al 2017 Deutscher Bundestag 2017 LWL LVR 2017 World Vision 2016 er kennbar vermehrt Im Wesentlichen zielen diese Berichte darauf ab die mittlerweile gewonnenen prakti schen Erfahrungen im Umgang mit dieser Adressatengruppe und ihren Bedingungen zu reflektieren und die Frage zu diskutieren ob und inwie fern es dabei der Weiterentwicklung bisher bekannter Angebote und Ver fahren bedarf Das Themenfeld Delinquenz jun ger Geflüchteter bzw darauf aufbau end Fragen nach geeigneten Präven tions und Unterstützungsstrategien werden sowohl in der Forschung als auch in den Praxisberichten bislang nur am Rande problematisiert Zwar liegen mittlerweile einigermaßen be lastbar die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik PKS und die Son derauswertungen des BKA vor vgl z B auch Arbeitsstelle Kinder und Jugendkriminalitätsprävention 2018 Haverkamp 2017 Stiftung Deutsches Forum Kriminalprävention 2016 Dar über hinausgehende empirische Stu dien zu Art und Umfang der Belas tung z B Pfeiffer et al 2018 sowie zu den Kriminalisierungs und Vikti misierungsrisiken junger Geflüchte ter Walburg 2017 und deren biogra fischen Hintergründe fehlen derzeit jedoch weitestgehend Blinde Flecken die lebenswelt lichen Kontexte von Delinquenz und der Fokus auf subjektive Bearbeitungsprozesse Zusammenfassend lässt sich sagen Die bislang vorliegenden Erkenntnis se verweisen in der Zuspitzung auf das Thema junge Geflüchtete und Delinquenz auf eine Reihe von blin den Flecken Während die großen kri minologischen Studien zu Jugendde linquenz wiederholt auf Ubiquität und Episodenhaftigkeit als Kernbefunde hingewiesen und die Verbindung von Delinquenz zu alterstypischen Ent wicklungsaufgaben hergestellt ha ben wird dieser Aspekt in Bezug auf junge Geflüchtete bisher außer Acht gelassen Junge Geflüchtete wenn sie straffällig werden werden eher als bedrohliche Täterinnen und Tä ter wahrgenommen und weniger als junge Menschen in der Entwicklung Jugend Kriminologische Kernaussagen Jugenddelinquenz ist ubiquitär d h weit verbreitet und betrifft aus bio grafischer Perspektive sehr viele Jugendliche zumindest was das Dun kelfeld betrifft Längsschnittstudien zeigen dass sich Delinquenz im Jugendalter in den überwiegenden Fällen im Erwachsenenalter nicht fortsetzt Jugenddelin quenz ist mehrheitlich episodenhaft Vor allem für männliche Jugendliche gehört es zum Standardrisiko mit der Polizei und der Justiz Ärger zu bekommen vgl Kerner 2004 S 8 Jugenddelinquenz ist im Vergleich zur Erwachsenenkriminalität eher situ ativ und ist eher in Gruppenkontexte eingebunden Delinquenz im Jugendalter bewegt sich weit überwiegend im Bagatellbe reich wie Ladendiebstahl und Sachbeschädigung Gewalttaten d h vor allem schwere Körperverletzung und Raub machen nur einen kleinen Teil der gesamten Jugenddelinquenz aus Die überwiegende Mehrzahl der bei der Polizei auffällig werdenden Ju gendlichen wird einmal oder höchstens zweimal auffällig nur ein kleiner Teil mit drei oder mehr Delikten Der Großteil wiederholter und schwerwiegender Straftaten wird dagegen durch eine kleine Personengruppe verübt die in der Regel komplexe Pro blemlagen auf sich vereinigt von sozialer Randständigkeit über Gewalt erfahrungen in der Familie und Schulproblemen bis hin zu Alkohol und Drogenmissbrauch und devianten Peers Jugendliche sind oft gleichermaßen Täter Täterinnen wie Opfer von Ju genddelinquenz 3 An dieser Stelle sei nur auf den bekannten Klassiker in der Soziologie The Polish Peasant in Europe and America von Florian Znaniecki und William I Thomas bereits aus dem Jahr 1918 hingewiesen

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