MIGRATION UND PRÄVENTION 5forum kriminalprävention 4 2018 ten Oft genügte schon die Präsenz von zwei oder drei besonders auf fälligen Personen um das Leben für alle Bewohner unerträglich zu ma chen Zu den am häufigsten berichte ten Vergehen zählten kleinere Verstö ße wie der Konsum von Alkohol und Zigaretten innerhalb der Unterkunft beides ist gewöhnlich verboten bis hin zu Straftaten wie Körperverlet zungen Drogenkonsum und handel Diebstahl und Hehlerei Einzelne Fäl le von Substanzmissbrauch sind wohl durch erlittene Traumata und daraus folgende psychische Belastungen er klärbar Bei einigen Menschen scheint es jedoch einen Zusammenhang zwi schen schlechten Aussichten im Asyl verfahren und kriminellem Verhalten zu geben Dabei handelt es sich um Personen die kaum eine legale Per spektive in Deutschland haben und daher oft für einen unbestimmten Zeitraum in den Unterkünften ver bleiben Das Wissen um die Perspek tivlosigkeit scheint sich sowohl nega tiv auf die Gruppenbildung wie auch auf das Sozialverhalten von Individu en auszuwirken Zusätzlich scheint es sich hierbei oft um Personen mit ei ner kriminellen Vorgeschichte zu han deln welche in manchen Fällen durch kriminelle Netzwerke am Unterbrin gungsort gezielt rekrutiert zu wer den scheinen Die Betroffenen leben dann oft über mehrere Jahre in Ge meinschaftsunterkünften wobei sie häufig nur kurz in einer Einrichtung bleiben und meist schnell aufgrund von Regelverstößen transferiert wer den bis sie schließlich in Unterkünf ten verbleiben in denen viele auffäl lige Personen zusammengebracht werden In allen von uns besichtigten Einrichtungen wurden diese Prozes se sowohl von Mitarbeitern als auch von anderen Bewohnern als starke Belastung empfunden Aufgrund der engen Wohnverhältnisse und der feh lenden Privatsphäre kommt es schnell zu Konflikten mit anderen Bewohnern die sich von derartigem Verhalten ge stört fühlen Mitarbeiter der Unter künfte haben zudem weder wirksame Sanktionsmöglichkeiten noch können sie mit Mitteln der sozialen Arbeit et was ausrichten In einzelnen Fällen wurde uns auch berichtet dass Mitarbeiter von Sicher heitsfirmen oder Hausmeister an kri minellen Aktivitäten zulasten der Be wohner beteiligt waren Dies setzt die Opfer einem starken Risiko aus da sie in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Tätern stehen und ihren Anschul digungen oft kein Glauben geschenkt wird und die Sprachbarriere die Er stellung einer Anzeige erschwert Hier scheint dringender Bedarf an besse rer Aufklärung für Unterkunftsbetrei ber und einer besseren Überprüfung der entsprechenden Dienstleister ge boten Häusliche und sexualisierte Gewalt Ein anderes Konfliktfeld betrifft das Thema häusliche und sexualisierte Ge walt In vielen Unterkünften kommt es zu Delikten in diesem Bereich Dabei hörten wir verschiedene Erklärungs ansätze Zunächst würden durch die Flucht und das Ankommen in Deutschland oftmals eingespielte patriarchale Fa milienstrukturen aufgebrochen Ei nerseits verlören die Männer oft ihre gewohnte Versorgerrolle während Frauen eine stärkere Beteiligung an Entscheidungsprozessen aber auch beispielsweise bei der Verwendung des Haushaltseinkommens und eine gerechtere Verteilung der Haushalts arbeit einfordern würden Anderer seits verursachten die in Deutsch land geltenden Geschlechternormen und der liberalere Umgang miteinan der eine Art Kulturschock Sexuali sierte Gewalt wurde hier als Reaktion auf diese neuen Eindrücke und als Ver such die altbekannte Ordnung wie derherzustellen interpretiert Gleichzeitig wirken sich auch der Stress der aus dem erzwungenen Zu sammenleben in der Unterkunft er wächst sowie die Frustration über den Asylprozess negativ aus Das Auf treten häuslicher Gewalt etwa ge genüber Kindern wurde uns bei spielsweise von Beratungsstellen und Sozialarbeitern nicht nur durch unterschiedliche Vorstellungen von Kindererziehung sondern auch mit Überforderung und ständiger Unru he im Unterkunftsalltag begründet Hiermit soll derartige Gewalt keines falls relativiert werden Die Umstän de unter denen sie sich abspielt müs sen jedoch sowohl bei der Analyse als auch bei der Prävention berücksich tigt werden Neben Druck durch Fa milienangehörige und Mitbewohner aus demselben Herkunftsland wur de uns auch die Angst vieler Asylsu chender aus autoritären Kontexten vor staatlichen Behörden als Grund genannt warum Hilfsangebote etwa vom Jugendamt oder der Ehebera tung nicht angenommen und Anzei gen häufig von den Betroffenen zu rückgezogen wurden Auch wirkten sich der Raum und die Strukturen des Asylregimes negativ aus da Mit bewohnern die Konflikte in den Fami lien nicht verborgen blieben und die Opfer dadurch zusätzlich unter Druck gerieten Zudem begünstigen in eini gen Unterkünften schlecht einsehba re und ausgeleuchtete Flure und Hof bereiche sowie nicht verschließbare und teilweise gebäudeextern oder im Keller gelegene Waschräume und To iletten das Auftreten sexualisierter Gewalt Als Resultat entwickelten ei nige betroffenen Frauen Strategien zur Eigensicherung welche den All tag noch beschwerlicher machten Uns wurde etwa von Frauen berich tet welche sich nachts nicht auf Toi letten trauten und daher einen Eimer benutzten oder jedes Mal ihren Mann und ihre Kinder weckten die sie be gleiten mussten Die Strukturen des Asylregimes werden beispielsweise dann zum Pro blem wenn Frauen oder Kinder ge meinsam mit ihren gewalttätigen Ehe männern bzw Vätern untergebracht werden Dies ist eigentlich Regelpro zedur bei Familienzusammenführun gen setzt jedoch die Opfer unter er heblichen psychischen Druck Um dies zu verhindern bzw Hilfe zu be kommen müssen sie teilweise stark schambehaftete und traumatische Erlebnisse vor Behördenmitarbeitern offenlegen Transfers in sichere Un terkünfte erfolgen dann häufig ohne psychologische Betreuung was die Betroffenen zusätzlichen Risiken aus setzt Therapieplätze oder Wohnmög lichkeiten in Frauenhäusern sind nicht in ausreichender Zahl vorhanden Besondere Probleme im Zusammen hang mit AnkER Zentren Im Folgenden soll kurz dargelegt werden was genau AnkER Zentren sind und was sich aus den oben zu sammengefassten Ergebnissen unse rer Studie für das Zusammenleben in AnkER Zentren schließen lässt Das Akronym AnkER bedeutet Zentrale Aufnahme Entscheidungs und Rückführungseinrichtung in de nen gemäß sogenanntem Masterplan Migration des Bundesinnenministers von Juli 2018 alle Stationen des Asyl verfahrens an einem Ort stattfinden sollen Laut Masterplan stehen beson ders die Rückkehrberatung die frei willige Rückkehr und die Rückführung im Mittelpunkt was ihnen von Kriti kern den Vorwurf einbrachte die Ein

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