10 forum kriminalprävention 4 2019 SCHWERPUNKT unerwünscht geltenden Probleme selten hinterfragt sondern vielmehr als grundlegender Arbeitsauftrag ak zeptiert wodurch gerade in der Praxis eine Perspektive auf die gesellschaft lichen Konstruktions und Machtver hältnisse ausgeblendet wird die ur sächlich dafür sind was in präventiven Maßnahmen bearbeitet und beein flusst werden soll vgl Holthusen et al 2011 23 Lüders 2016 522 Dadurch wird Soziale Arbeit im Präventionspa radigma reduziert auf eine auf das In dividuum fokussierte Verhaltensar beit Professionelles sozialarbeiteri sches Handeln verstanden als Fähig keit der Relationierung und Deutung lebensweltlicher Schwierigkeiten im Einzelfall mit dem Ziel der Perspek tiveneröffnung bzw einer Entschei dungsbegründung unter Ungewiss heitsbedingungen Dewe Otto 2012 197 f erfordert jedoch die Reflexi on des eigenen Handelns und damit auch eine kritische Prüfung der Prob lemdefinition und einer Begründung des jeweiligen präventiven Ansatzes vgl Lüders 2016 522 In der Praxis wird dies scheinbar schnell verges sen insbesondere dann wenn Be gründungen von außen durch Polizei Justiz Schule etc definiert und zuge liefert werden ebd 523 Als Folge dessen lässt sich Soziale Arbeit in der Praxis vielerorts allzu schnell fremd bestimmen und die Grundlage ihres Arbeitens sozusagen vorsetzen 3 In der Praxis hat sich seit den 1990er Jahren im Anschluss an den Mediziner Caplan 1964 die Unter scheidung zwischen primärer sekun därer und tertiärer Prävention1 eta bliert Mit dieser Systematisierung unterliegen präventive Interventio nen einem zeitliche n Verlaufsmo dell steigender Intensitäts und Ver festigungsgrade von Problemlagen Ziegler 2013 147 Darin wird impli ziert eine Problemlösung würde mit zunehmender Wartezeit schwieriger und teurer Genau daraus leitet sich die Forderung ab frühzeitig aktiv zu werden Problematisch daran ist je doch dass der Bezug zum Problem immer schwächer wird vgl Holthu sen et al 2011 23 Ziegler 2013 147 4 Gerade bei primärer Präventi on verschwimmt oft die Grenze zu allgemein sozialpolitischen Maßnah men Im Gegensatz zu diesen werden primäre Präventionsmaßnahmen je doch durch die angenommene Prob lem bzw Bedrohungslage legitimiert Es werden Menschen mit Präventi onsmaßnahmen konfrontiert denen Devianz unterstellt wird obwohl sie kein Fehlverhalten gezeigt haben und von denen jetzt und auch in Zu kunft womöglich kein Risiko ausgeht vgl Bastian 2015 58 Sie werden auf Basis gesellschaftlicher Zuschreibun gen zur vermeintlichen Risikogruppe vgl Ziegler 2013 147 und moralisch diskreditiert indem davon ausge gangen wird sie würden ohne eine Teilnahme an einer Präventionsmaß nahme potenziell deviant oder delin quent handeln Diese Verdachtslogik widerspricht nicht nur der Unschulds vermutung im deutschen Recht son dern ist aus sozialpädagogischer Per spektive defizitorientiert und trägt eher dazu bei die betroffenen Per sonen zu stigmatisieren und zu ent mündigen vgl Dollinger 2006 147 f Holthusen et al 2011 24 Soziale Ar beit die sich dem Präventionsgedan ken unterordnet konterkariert damit ihr emanzipatorisches Potenzial der Förderung einer selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebens führung und bewältigung vgl Kap peler 2007 Zuweilen muten die Verknüpfun gen sozialpädagogischer Interventio nen mit potenziellen Präventionsper spektiven recht abwegig an oder Warum sollte Mitternachtsfußball gewalttätigen Auseinandersetzun gen unter Jugendlichen vorbeugen Wieso kann ein Bootstrip mit poli zeibekannten Jugendlichen künftig vandalistisches Handeln verhindern Inwiefern kann der Besuch einer po lizeilichen Ausstellung zu den negati ven Folgen des Drogenkonsums einen Jugendlichen künftig dazu veranlas sen keine Drogen mehr zu nehmen Oder Wer sagt uns dass der Anblick von Todeskreuzen an den Alleen Au tofahrer davor bewahrt in betrunke nem Zustand den Zündschlüssel um zudrehen Mensching 2005 Unter primärer sekundärer und tertiärer Prävention versammeln sich zudem mitunter sehr gegensätzliche Interventionsformen Prävention straft und belohnt droht und ermu tigt schreckt ab und belehrt sammelt und sondert aus entzieht Ressourcen und teilt sie zu installiert technische Kontrollsysteme und nutzt soziale Netzwerke Bröckling 2008 39 Da durch müssen nicht nur Sozialarbei ter innen mit sehr unterschiedlichen Handlungslogiken umgehen sondern auch für die Zielgruppen ist wenig durchschaubar nach welchen Hand lungsmaximen vorgegangen wird 5 Nach Holthusen Hoops Lüders und Ziegleder kann ein fundiertes Wissen über die drohenden Ereignis se die bedingenden Faktoren und entsprechenden Ansatzpunkte für Gegenstrategien ein sinnvoll prä ventiv angelegtes Handeln ermögli chen Holthusen et al 2011 23 Sie plädieren damit für eine wissensba sierte Präventionsarbeit verweisen jedoch zugleich darauf dass es nur wenige standardisierte Handlungs ansätze in der Sozialen Arbeit gibt gerade bei primärer und sekundärer Prävention die Problemlage nur sehr ungenau definiert ist und es an Eva luationsstudien zur Wirksamkeit von präventiven Ansätzen mangelt Ein fundiertes Wissen über mögliche Be drohungen lässt sich auch schwer erheben da sich menschliches Ver halten nicht auf eindeutige Kausalzu sammenhänge reduzieren und somit trivialisieren lässt vgl Bröckling 2008 42 Im Zweifel führt eine solche For derung nach mehr Wissen zu einem Zuwachs sozialer Kontrolle durch ein ständiges Risikoscreening Bastian 2015 58 vermeintlich Verdächtiger Gerade durch ihre Zukunftsbezogen heit ist auch schwer nachweisbar ob und wie wirksam präventive Maßnah men in der pädagogischen Praxis sind Zudem verringert auch mehr Wissen nicht die Existenz von Risiken worauf Luhmann 1991 37 hingewiesen hat Je mehr man weiß desto mehr weiß man was man nicht weiß und desto eher bildet sich ein Risikobewußtsein aus Ferner stellt sich die Frage der Übertragbarkeit bewährter Praktiken auf andere Phänomene oder Zielgrup pen da den zu bearbeitenden Fällen in der sozialarbeiterischen Praxis immer Ungewissheit bzw die Spezifik der Ein zelfälle innewohnt Präventionsarbeit verhindert dagegen ein Wissen darü ber warum Menschen deviant oder delinquent handeln da die Situation die Verhältnisse verdeckt bleiben 1 Zu primärer Prävention zählen aus sozialarbeiteri scher Perspektive allgemeine aufklärerische und sensibilisierende Formen der Beratung und Informati on sowie Maßnahmen zur förderlichen Gestaltung der Lebensverhältnisse zu sekundärer Prävention früh zeitige vorbeugende Formen der Unterstützung Be handlung und Betreuung als Einzelhilfen mit dem Ziel kritische oder belastende Situationen zu entschärfen oder zu entlasten und zu tertiärer Prävention Maß nahmen zur Besserung und Nacherziehung vgl Wohl gemut 2009 26 f

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