11forum kriminalprävention 4 2019 SCHWERPUNKT 6 Nicht bedacht werden in der Re gel nicht intendierte Nebenwirkun gen präventiver Ansätze oder anders formuliert der potenzielle Schaden bzw die Schädigungen die von prä ventiven Ansätzen ausgehen und die den eigentlich intendierten Nutzen überwiegen können In der Regel wird wie bereits er wähnt eher nach der Maxime gehan delt vorbeugen kann man nie früh genug Dabei stellt sich die berechtig te Frage ob der Generalverdacht und die Stigmatisierung die in präventi ven Ansätzen angelegt sind nicht dazu beitragen dass das zu vermei dende Problem letztlich eintritt sie also zu einer selbsterfüllenden Pro phezeiung werden Auch ist durch aus denkbar dass durch präventi ve Handlungsansätze ein Zugang zu Menschen die wirklich einen Hilfebe darf haben erschwert oder verwehrt wird aufgrund der Furcht vor mög licher Stigmatisierung vgl Bastian 2015 58 Es lohnt sich also das Augenmerk auf jene Normalitätsfiktionen zu len ken die sich hinter zahlreichen Prä ventionsmaßnahmen verbergen und danach zu fragen inwiefern gegen wärtige Präventionsbemühungen soziale Exklusionsprozesse verstär ken und Handlungsalternativen ein schränken Damit geraten die nicht intendierten Nebenwirkungen von Prävention in den Fokus und Präven tionsvorhaben werden an den Diskurs gesellschaftlicher Fragen rückgebun den um eine unhinterfragte Umeti kettierung von Jugend Familien Stadtteilprojekten o ä in kriminal präventive Vorhaben zu vermeiden vgl Mensching Kessler 2017 S 110 f Kessler 2017 Wer profitiert von Präventionsbemühungen Es stellt sich somit die Frage wer eigentlich durch Prävention entlastet wird bzw von ihr profitiert Es sind nicht die Betroffenen die vermeint lich Verdächtigen und auch nicht die Sozialarbeiter innen die mit parado xen Handlungsanweisungen konfron tiert werden Prävention entlastet vorrangig auf abstrakt gesellschaft licher Ebene diejenigen die über Machtressourcen verfügen Präven tion stellt ein Herrschaftsinstrument dar durch das Machtkonstellationen der Gegenwart auf die Zukunft proji ziert werden vgl Bröckling 2008 45 Das bestehende Moralsystem wird auf diesem Weg reproduziert vgl Dollin ger 2006 148 Entsprechend ist Prä vention eine Form der Durchsetzung hegemonialer Interessen über die Vorstellung von Normalität und Ab weichung im Modus der Disziplinie rung und Diskriminierung von Men schen die auf Basis gesellschaftlicher Zuschreibungen als potenzielle Be drohung wahrgenommen werden vgl auch Unterkofler et al 2018 Wohl gemut 2011 Während man auf diesem Weg Konformität und Selbstkontrolle erzielt werden grundlegende Reflexi onen bestehender Verhältnisse oder gar ihre Veränderung verhindert Wie sich auf Basis dieser Argumen tation Sozialarbeit stattdessen als Ver hältnis und nicht als Verhaltensarbeit entwerfen lässt möchten wir im Fol genden kurz skizzieren Soziale Arbeit als Verhältnis arbeit Während Lüders 2016 534 davon ausgeht dass man der Logik präventi ven Denkens und Handelns nicht ent kommen kann und sie unvermeidlich ist vgl auch Lüders Kappeler 2016 89 möchten wir eine sozialarbeiteri sche Praxis skizzieren die sich von der Fixierung auf Prävention löst und die eigene Tätigkeit als Verhältnisarbeit begreift 2 Kann Soziale Arbeit nicht ohne den Verweis auf künftige zu ver hindernde Zustände auskommen Ist sie zu machtlos um eine eigene Posi tion gegenüber gesetzlichen polizei lichen und politischen Vorgaben und Förderprogrammen einzunehmen Es geht im Kern nicht darum zu leugnen dass es problematische und nicht wünschenswerte Verhaltens weisen gibt bei denen sich Anstren gungen lohnen diese zu vermeiden Auch das Bedrohliche bzw Riskan te ist Teil der Kontingenz der Zukunft vgl Luhmann 1991 es liegt immer im Bereich des Möglichen Es lohnt je doch sich bewusst zu machen dass es auch durch präventive Handlungs ansätze nicht aufgehalten oder ver hindert werden kann Die Soziale Ar beit sollte die Kontingenz der Zukunft akzeptieren sie braucht eine gewis se Bereitschaft zum Risiko Risiko soll hier im Anschluss an Luhmann 1990 135 verstanden werden als Zurech nung von eingetretenen Folgen bzw Schäden auf Entscheidungen Das was als Risiko gilt wird erst durch das Sprechen darüber konstituiert vgl Luhmann 1991 14 Damit müssen sich Sozialarbeiter innen von der Vorstel lung verabschieden dass sie ohnehin schon wissen was zukünftig nicht eintreten wird Eine paternalistisch motivierte Risikovermeidung Linde nau Kressig 2015 94 muss ersetzt werden durch eine Befähigung zum selbstbestimmten Handeln ebd Konkret schlagen wir als Alternati ve eine Orientierung der Sozialen Ar beit an Formen der Verhältnisarbeit vor Diese charakterisiert sich 1 durch eine Reflexion der sozialpo litischen Dimension sozialarbei terischer Praxis und der eigenen Verstrickung in bestehende Macht und Herrschaftsverhältnisse 2 durch eine Praxis in der Sozialarbei ter innen mit den Adressaten in nen ins Gespräch kommen alterna tive Sichtweisen wahrnehmen und damit lebensweltlichen Deutungen Raum geben und 3 durch das Verhalten zu den Ver hältnissen Köngeter et al 2018 im Sinne einer Repolitisierung und Re aktivierung eines sozialpolitischen Engagements Sozialer Arbeit das auf die Veränderung der sozialen Lebensverhältnisse abzielt Verhältnisarbeit als Praxis der Re flexion ist eine grundlegende Vor aussetzung für alle spezifischeren Formen der Verhältnisarbeit in sozi alarbeiterischen Handlungsfeldern Sie umfasst eine kritische Auseinan dersetzung des Verhältnisses Sozia ler Arbeit zu Sozialpolitik und hilft zu erkennen was gesellschaftlich ver deckt wird Dabei kann Soziale Ar beit nicht nur als Exekutive sozial politischer Vorgaben Köngeter et al 2018 481 verstanden werden die mit den Folgen ungleicher Lebensver hältnisse und sozialer Exklusion kon frontiert ist sondern muss zugleich als in sozialpolitische Strukturen in volviert erfasst werden Soziale Ar beit trägt dazu bei Verwirklichungs chancen zu erweitern oder ein zu engen und soziale Exklusionsprozesse zu befördern oder zu verhindern Köngeter et al 2018 408 f Wenn sich sozialarbeiterische Praxis an Präven tion als prioritärem Handlungsprinzip 2 Dieses Unterfangen ist keineswegs einfach Lüders und Kappeler 2016 90 kommen zu dem Schluss dass die Kritik an der Präventionsfixierung die bereits seit den 1980er Jahren immer wieder vorgebracht wird bisher nicht durch die sozialarbeiterische Praxis auf genommen wurde Selbst eine pragmatische Kritik wie sie von Lüders angebracht wird ruft oftmals ab lehnende Reaktionen hervor

Vorschau DFK forum kp 04-2019 Seite 13
Hinweis: Dies ist eine maschinenlesbare No-Flash Ansicht.
Klicken Sie hier um zur Online-Version zu gelangen.