EDITORIAL 2 forum kriminalprävention 1 2020 Liebe Leserinnen und Leser Nie war es so wichtig gemein sam allein zu sein Um auf alle auf zupassen titelte das ZEIT MAGA ZIN am 19 März 2020 Das Paradoxe gleich zu Beginn Solidarität zeigt sich eigentlich im Zusammenste hen und Händedrücken Jetzt wird Abstand gehalten Man muss dem Nächsten fernbleiben und den noch für ihn da sein Es geht um den Spannungsbo gen zwischen Social Distancing und Distant Socialising sowie um die damit verbundene Frage ob die Menschen in der Krise z B in Nachbarschaftsnetzen näher zusammenrücken oder ob Egois men etwa bei Hamsterkäufen ge schürt werden Es zeigt sich nun wie verwundbar jeder einzelne ist COVID 19 kann jeden treffen und wie abhängig wir zugleich voneinander sind Kommen wir deshalb zu einer Neubewertung sozialer Verbundenheit Zweifels ohne gibt es unterschiedliche Ver letzlichkeiten über gesellschaftli che Gruppen hinweg Wenn nun die gemeinsame Risikoerfahrung wie im Luftschutzbunker ge sellschaftliche Solidarität mobili sieren kann dann auch deshalb weil ein empathisches Verständ nis für unverschuldete Existenz krisen und gesundheitliche Risi ken entsteht Ein Gegenmodell zur neolibera len Do it yourself Ideologie und Ellenbogenmentalität könn te sich durch neue soziale Verwoben heit im Sinne eines wirklichen Aufei nander Angewiesen Seins ent wickeln Es geht in diesen Tagen darum ob wir unser Verhalten ändern um die Allgemeinheit zu schützen Der Philosoph Jürgen Habermas formulierte in einem Gespräch 2017 Wer sich solida risch verhält nimmt im Vertrau en darauf dass sich der andere in ähnlichen Situationen ebenso verhalten wird im langfristigen Ei geninteresse auch gegenwärtige eigene Nachteile in Kauf 1 Beson nenheit und gegenseitige Rück sichtnahmen sind gefragt Oder kämpft doch jeder für sich Dafür sprechen die sinnlo sen Hamstereien von Mehl Nu deln und Klopapier Wer sich die Keller vollpackt scheint nicht da ran zu glauben im Zweifel etwas vom Nachbarn vor die Tür gestellt zu bekommen Wer es sich leisten kann und den entsprechenden Job hat arbeitet im Homeoffice und schirmt sich ab Selbstbesorgte nennt der Soziologe Heinz Bude2 all jene die nun versuchen jedes Risiko für sich zu minimieren Von denen die wenig Geld ha ben erwarten die anderen dass sie die Supermarktkassen beset zen Alte und Kranke pflegen Müll wegfahren und uns Pakete mit Wa ren liefern die bequem vom Sofa aus im Internet bestellt wurden Sie können nicht einfach wegge hen oder mit ihrer Arbeit aufhö ren wenn sie angehustet werden Menschen sind verletzliche emoti onale resonanzbedürftige Wesen Solidarisch wären bereits freundli che Gesten ein Lächeln ein Trink geld oder ein Dankeschön Anei nander Denken Nachsichtig sein Verzeihen Und auf manche Frei heiten verzichten um das Leben aller zu schützen Wie wird es wohl sein wenn die Krise wieder vorbei ist Vielleicht entwickeln wir eine neue Form des Miteinanders und entdecken mehr Respekt für diejenigen die Dienste für die Gesellschaft leis ten etwa Paketboten Pfleger Er zieher Verkäufer oder LKW Fah rer Das Missverhältnis zwischen ihrer Bedeutung bzw System relevanz und ihrer Entlohnung wird sich dann nicht mehr igno rieren lassen Vielleicht beginnen wir jetzt schon uns ganz persön lich mit grundsätzlichen Fragen zu beschäftigen Führen wir das Le ben das wir eigentlich leben woll ten Ist der Job das Allerwichtigs te Und wann haben wir das letzte Mal in Ruhe mit unseren Angehöri gen und Freunden geredet Was wird anders sein wenn die jetzige Klarheit wieder dem Weiter so weicht Das Alter nativempfinden wird einige Zeit nachklingen während Politik und Wirtschaft uns darauf einschwö ren zu konsumieren was das Zeug hält um Wachstum zu erzeugen Dennoch Vielleicht verliert das Schneller Höher Weiter Mehr sei ne rücksichtslose Dynamik Die jet zigen Einschränkungen Hilfs und Ausgleichsmaßnahmen mögen al ternativlos sein die Rückkehr zur genau gleich alten Normalität ist es nicht Wir können schon jetzt die Chance nutzen in besseren Al ternativen zu denken Liebe Leserinnen und Leser die aktuelle Krise löst grundsätz liches Nachdenken über das ge sellschaftliche Zusammenleben und individuelle Lebenskonzepte aus Einige Aspekte habe ich dazu ausgeführt In der Krisenbewälti gung sind es konkrete Gefahren und Probleme die Sorgen berei ten den Alltag erschweren und vielfachen Stress erzeugen Familiäre Belastungen münden häufiger in gewaltsame Auseinan dersetzungen Unterstützungs angebote können hier helfen interpersonale Konflikte zu ent schärfen und gewaltfreie Kom munikationen zu ermöglichen Aufmerksamkeit im Hinblick auf Auffälligkeiten von Gewalt im so zialen Nahraum kann dazu beitra gen dass die Behörden informiert werden und wo notwendig auch einschreiten Kriminelle nehmen keine Rück sicht Betrugsdelikte variieren und setzen den ohnehin schon vulnerablen Gruppen wie alte Menschen zu Medien und alle relevanten Akteure der Gefahren abwehr Prävention und des Opfer schutzes bauen ihr Informations angebot aus Im folgenden Artikel werden Aspekte der gegenwärti gen Präventionsarbeit aufgegrif fen und von Experten beleuchtet Die vorliegende Ausgabe wur de noch vor dem Krisenbeginn geplant und hat ihren inhaltlichen Schwerpunkt im Bereich der kom munalen Prävention Die gegen wärtige Bereitschaft politisches Handeln auf wissenschaftliche Ex pertise zu stützen spiegelt sich im Beitrag von Andreas Armborst zur evidenzbasierten Kriminalprä vention eine unerwartete Bestä tigung Bleiben Sie und Ihre Mitmen schen alle gesund nehmen Sie sich wenn möglich Zeit für Be sinnung und Solidarität Herzliche Grüße Ihr Wolfgang Kahl 1 Europa neu denken Eine Diskussion zwischen Jürgen Habermas Sigmar Gabriel und Emmanuel Macron in Blätter für deutsche und internationale Politik 4 2017 S 42 2 Heinz Bude SOLIDARITÄT Die Zukunft einer großen Idee Hanser Verlag 2019

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