EXTREME GEWALT UND PRÄVENTION 22 forum kriminalprävention 2 2020 Amokfahrten in Deutschland Eine phänomenologische Annäherung und Untersuchung der Warnverhaltentypologie Katharina Nitsche Mirko Allwinn Jens Hoffmann Stephan Bongard Die zugrunde liegende Studie beschäftigte sich erstmals mit der wissenschaft lichen Untersuchung von Amokfahrten in Deutschland zwischen 2000 und 2017 und schloss 22 von 46 ausgewerteten Strafakten in die nähere Betrach tung ein Die überwiegend männlichen Einzeltäter waren mittleren Alters ledig und planten ihre Taten nur selten Die Tatsituation entstand überwiegend zufäl lig und endete zumeist mit der Festnahme des Täters Neben finanziellen und sozialen Schwierigkeiten der Täter fielen insbesondere die vorangehende am bulante und oder stationäre Behandlung aufgrund einer psychischen Erkran kung auf Dabei war die Hälfte aller Täter psychotisch In nahezu allen Fällen zeigte sich gemäß der Warnverhaltentypologie mindestens eine auffällige Ver haltensweise im Vorfeld der Tat Obwohl diese Auffälligkeiten für Personen oder Institutionen wahrnehmbar sind wurde nur selten darauf reagiert Einleitung Mit mehr als 20 Verletzten und zwei Toten erlangte nicht nur die Amok fahrt von Münster NRW eine hohe mediale Aufmerksamkeit Der Täter war bereits im Vorfeld auffällig Er ver sandte Suizidankündigungen aber die alarmierte Polizei konnte ihn nicht in seiner Wohnung antreffen Außerdem war er wiederholt beim Sozialpsychia trischen Dienst der Stadt Münster vor stellig zuletzt am Tattag selbst We gen keiner erkennbaren Eigen oder Fremdgefährdung ließ man ihn ge hen Dem Sozialpsychiatrischen Dienst lag keine Information zur E Mail mit der darin enthaltenen Suizidankündi gung vor Während solche Taten in der Öf fentlichkeit und den Medien hohe Auf merksamkeit erlangen beschäftigt sich auch die Forschung seit bereits knapp drei Jahrzenten mit dem Phä nomen der sogenannten schweren zielgerichteten Gewalttaten Dabei stehen unter anderem Amoktäter1 im Fokus Adler Lehmann Räder Schü nemann 1993 Allwinn Hoffmann Meloy 2019 Hoffmann Allwinn 2016a 2016b Hoffmann Roshdi Robertz 2009 Peter Bogerts 2012 Die Ta ten wurden zumeist unabhängig von der Art der Tatwaffe untersucht Zwar werden Schusswaffen bei Amoktaten am häufigsten verwendet doch auch Amokfahrten werden beobachtet Pe ter Bogerts 2012 und es bleibt bis her unklar inwiefern sich Taten in Ab hängigkeit von der Tatwaffe in ihrer Phänomenologie unterscheiden Bisher existieren wissenschaftliche Untersuchungen zu ähnlichen Phäno menen z B zum Homizid Suizid von Piloten Kenedi Friedman Watson Preitner 2016 oder zur Suizidalität im Straßenverkehr Wyatt Squires Col lis Broadley 2009 Jedoch widmete sich unseres Wissens nach keine empi rische Studie der Definition und Phä nomenologie von Amokfahrten Dies erscheint neben der Notwen digkeit zur Entwicklung präventiver Ansätze vor allem im Hinblick auf die heterogene Berichtserstattung der Medien von hohem Interesse So wird grundsätzlich bei zunächst unerklär lich erscheinenden Gewalttaten oder Unfällen häufig von Amoktaten berich tet Adler 2002 Bannenberg Bauer Kirste 2014 Dies gilt insbesondere für Amokfahrten Unter diesem Stich wort beschreiben Medien zum einen Taten bei denen eine Person gezielt in eine Menschenmenge fuhr ande rerseits aber auch Vorfälle bei denen Personen infolge einer Intoxikation unter Kontrollverlust litten oder wäh rend der Flucht vor einer polizeilichen Kontrolle andere Menschen verletzten oder töteten Darüber hinaus findet man unter dem Stichwort Amokfahrt auch Vorfälle von an Schizophrenie er krankten Personen die andere Men schen mit einem Pkw aufgrund ihres 1 Schwere zielgerichtete Taten wie Amokläufe und ter roristische Anschläge werden bis auf wenige Ausnah men von männlichen Personen begangen Daher wird im Folgenden die männliche Schreibweise verwendet 1 Weg zur Gewalt jegliches Verhalten das zur Planung Vorbereitung oder Durchführung einer Tat notwendig ist 2 Fixierung jegliches Verhalten das eine sich steigernde und über mäßige pathologische Beschäftigung mit einer Person oder einem Thema anzeigt 3 Identifizierung Affinität mit militärischen oder kriegerischen Themen die die Lösung eines Konflikts durch Gewalt nahelegen u a die Beschäftigung mit und Bewunderung von ande ren Gewalt oder Attentätern 4 Neue Form der Gewalt gewalttätiges Verhalten das nicht direkt in Verbindung mit der zielgerichteten Gewalttat steht und von der Per son zuvor noch nicht angewandt wurde 5 Energieschub jegliches Verhalten das einen Anstieg des Energielevels in den Handlungen gegenüber Zielpersonen andeutet 6 Einweihung Dritter Einweihung Dritter in die eigene Tatabsicht 7 Letzter Ausweg jegliches Verhalten das erkennen lässt dass die Person zunehmend verzweifelt und sich in einer ausweglosen Lage sieht in der Gewalt als letzte Option erscheint 8 Direkte Drohung direkte Drohung gegenüber der Zielperson oder eng mit der Zielperson in Verbindung stehenden Personen Tabelle 1 Übersicht der Warnverhaltentypologie Hoffmann Roshdi 2015

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