EXTREMISMUSPRÄVENTION 22 forum kriminalprävention 3 2020 Kontexte und Faktoren bei Ausstieg und Deradikalisierung von Extremisten Michail Logvinov Um Ausstieg und Deradikalisierung von Mitgliedern extremistischer oder ter roristischer Gruppierungen unterstützen zu können bedarf es vertiefender Erkenntnisse und eines umfassenden Kontext und Prozessverständnisses Der Beitrag gibt Einblicke in ausgewählte Forschungsergebnisse Deradikalisierungsstudien der ersten Generation Die Deradikalisierungsstudien der ersten Generation zeichneten sich durch einen Catch all Ansatz und wenig spezifizierte Aussagen über mögliche ausstiegsrelevante Faktoren aus So unterschied Horgan 2009 31 35 psychologische sowie physische Faktoren Bereits 2002 benannte Tore Bjørgo einzelne Push Pull Faktoren ohne jedoch ihre Gewichtung vorzu nehmen oder weitere Wechselwirkun gen aufzuzeigen Neben den Push und Pull Fakto ren wies der Forscher auf eine Reihe von ausstiegshemmenden Bedingun gen hin Bjørgo 2002 13 f Bjørgo 2009 Demant et al 2008 wie zugeschriebene positive Eigen schaften der Gruppe Sanktionierung durch die Gruppe Angst vor dem Verlust des Grup penschutzes Sanktionierung durch die Justiz und das Fehlen von Alternativen Anhand einer Literaturrecherche mit insgesamt 216 Interviews mit ehe maligen Extremisten verschiedener Couleur gelang es Dalgaard Nielsen 2013 103 f drei Faktorencluster aus zumachen die einen Ausstieg wahr scheinlich machen würden Zweifel an der militanten Ideolo gie bzw an militanten Narrativen mögliche Auslöser psychologi sche Auswirkungen der Gewaltan wendung bzw Zweifel an deren Sinn und Zweck oder der Einfluss von signifikanten anderen Zweifel an bzw Enttäuschung über Gruppendynamiken oder Anführer mögliche Auslöser ungerechte Be handlung oder Verrat Zweifel wegen persönlicher und oder praktischer Belange mögli che Auslöser Burn out Älterwer den Wunsch nach einem norma len Leben oder Schuldgefühle wegen der Auswirkungen des En gagements auf Freunde und Fa milie Die Datenqualität ließ jedoch nur eingeschränkte Aussagen und keine Gewichtung dieser Cluster zu trotz ihrer allgemeinen Plausibilität Fünf Jahre später kamen weitere Studien hinzu insgesamt 245 Interviews wo bei die beschriebenen Cluster iden tisch blieben Fasst man die Befunde jener For schungen zusammen die dem Push Pull Ansatz anhängen ergibt sich ins gesamt folgende Taxonomie Altier et al 2014 648 ff Push Faktoren Unerfüllte Erwartungen als Reali tätskonflikt Ernüchterung im Hinblick auf die Strategie oder Aktionen Ernüchterung mit Blick auf inter personale Beziehungen und Anfüh rer Mitglieder der Gruppe Schwierigkeiten sich an das Leben in der Klandestinität anzupassen Probleme im Umgang mit Gewalt Angst vor Verhaftung Verlust des Glaubens an die Grup penideologie Burn out Pull Faktoren Konkurrierende Loyalitäten außer halb der Gruppe Bindungen an das moderate Um feld bspw Freunde Familie Verpflichtungen oder Chancen in Bereichen Beruf und Bildung familiäre Verpflichtungen oder Fa milienwunsch finanzielle Anreize Amnestie In einer Auswertung von interna tionalen Publikationen rund um das Thema Ausstieg und Distanzierung untersuchten Lösel et al 2020 sechs qualitative Studien aus unterschied lichen Regionen mit verschiedenen ideologischen Schwerpunkten und fassten ihre Ergebnisse wie folgt zu sammen Starke Effekte auf der Ebe ne der Push Bedingungen ergaben sich aus der Desillusionierung über Gruppenführung Gruppenmitglieder und methoden Die Ausgestiegenen berichteten überdies über unerfüll te Erwartungen bspw im Hinblick auf ihre Identität als Gruppenmitglied Mit Blick auf Pull Bedingungen erwiesen sich soziale Bindungen außerhalb der Gruppe Unterstützung Druck durch Familien und positive Erfahrungen mit den Behörden als ausstiegsfördernd Einige Studien betonten eine Kos ten Nutzen Abwägung als Ausstiegs grund Lösel et al 2020 65 f Deradikalisierungsstudien der zweiten Generation Forschungen zweiter Generation wenden komplexere Auswertungs methoden an und nehmen Gewich tungen einzelner Einflussgrößen vor So untersuchten Altier et al 2017 87 autobiografische Berichte von ehe maligen Terroristen auf die selbst berichteten Push und Pull Faktoren hin und kamen zu dem Schluss dass bei den Push Faktoren vor allem die Enttäuschung über Strategien oder Aktionen Anführer und Mitglieder sowie Alltagsroutinen der Gruppe ei nen großen Einfluss auf den intenti onalen Ausstieg ausübten anders als in der Vergleichsgruppe Als we niger relevant erschienen in den ana lysierten Selbstberichten die Entzau berung von Ideologien der Burn out

Vorschau DFK forum kp 03-2020 Seite 24
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