EXTREMISMUSPRÄVENTION 23forum kriminalprävention 3 2020 oder die Angst vor Festnahmen In haftierungen Unter den Pull Fakto ren stachen vor allem alternative Lo yalitäten und Interaktionen mit nicht delinquenten Netzwerken aus Fami lien und Freunden hervor in beiden Gruppen Überdies waren soziale Fak toren wie Beruf oder Ausbildung und der Wunsch mehr Zeit für die Fami lie zu haben von Bedeutung Das Ge samtergebnis legte eine besondere Relevanz der Push Faktoren nahe Der Beitrag von Altier et al 2017 ist angesichts der mehrheitlich allge mein beschreibenden Deradikalisie rungsstudien von großer Relevanz Dies gilt gleichermaßen für die For schungen von Barrelle 2015 die an hand von 22 Interviews 14 ehemalige Mitglieder von Gewaltgruppen und acht Ehemalige ohne Gewalthinter grund eine Reihe von Einflussgrößen identifizierte die Desillusionierung über Anführer 30 die Desillusionie rung über Gruppenmitglieder 25 das Burn out 19 exzessive Gewalt 16 die Desillusionierung über radika le Ideen und Methoden jeweils 10 Zusammenfassend lassen sich so mit zwei hervorstechende Faktoren gruppen festhalten die Ernüchterung Enttäuschung über die tatsächliche Gruppenrea lität sowie die Auswirkung von alternativen Loyalitäten und Bindungen Muster und Stadien in Distanzierungsprozessen In der angewandten Ausstiegsfor schung sind Erklärungsmodelle ent standen die den Ausstiegs und Dis tanzierungsprozess als Ablauf von verschiedenen Phasen darstellen In der deutschen Rechtsextremis musforschung haben sich etwa Möl ler und Schuhmacher 2007 mit ver schiedenen Mustern und Stadien der Distanzierungsprozesse befasst Dis tanzierungen von Einstellungen Pra xiszusammenhängen und Verhal tens Orientierungen galten in ihrer qualitativen Untersuchung als Funkti on von Erfahrungen mit unterschied lichen Referenzgruppen und bezie hungen sowohl im Binnenraum der Szene als auch in der Kommunikation mit der Außenwelt und aus der Bewäl tigung der durch sie gestellten Anfor derungen Genauer Sie resultieren aus einer bestimmten Interpretation die ser Erfahrungen Möller Schuhma cher 2007 358 In den meisten Fällen konnten die Wissenschaftler drei Sta dien im Distanzierungsverlauf identi fizieren Möller 2016 Stadium der Irritation inhärenter und kohärenter Überzeugungen Stadium der inneren und lebens praktischen Loslösung von Hand lungs und Einstellungsstrukturen Stadium der Manifestierung von innerer und lebenspraktischer Dis tanz und Neuperspektivierungs phase Diesen Entwicklungsstadien waren verschiedenen Teilmustern1 eigen die je nach Gewichtung die Gesamtbe gründung für Distanzierung und Aus stieg dominant waren In späteren Forschungen wurde eine weitere in haltliche Dimension postuliert die den Distanzierungsprozess in fünf Er fahrungsbereichen bspw Kontrolle soziale Bezüge Sinn und Relevanz bezüge sowie Kompetenzen prägen soll Möller Wesche 2014 25 Implika tionen für die Fachpraxis Implikationen für die Fachpraxis Im Hinblick auf praktische Impli kationen sind die vorliegenden For schungsbefunde teils widersprüch lich und noch nicht ausreichend validiert Während etwa Bjørgo 2009 40 die Familiengründung mit neuen Verantwortlichkeiten gegen über dem Ehepartner und Kindern so wie alternative Loyalitäten als stärks te Ausstiegsmotive betonte kamen Altier et al 2017 332 zu dem Schluss dass vordergründig Push Faktoren ausschlaggebend sind Zahlreiche Stu dien ergaben zugleich einen hohen Stellenwert von Familien und nicht delinquenten Freundeskreise für den Distanzierungsprozess Grip Kotajoki 2019 16 f Hastings 2011 LaFree Mil ler 2008 211 Lösel et al 2020 66 No ricks 2009 Rieker 2014 Williams et al 2016 Selbstverständlich handelt es sich hierbei nicht um Bindungen an Familie Freunde an sich sondern um deren prosoziale Qualität und die dar aus resultierende Verantwortung der Betroffenen Barret Bokhani 2009 173 f Zugleich kommt es darauf an ob die signifikanten anderen über die notwendigen Ressourcen für deradi kalisierende Einflüsse verfügen Laut Farrall 2004 sind Ausstieg und Dis tanzierung erst möglich wenn Indivi duen Zugänge haben zu sozialem Kapital d h zu wechsel seitigen bestärkenden Beziehun gen gemeinsamen Ideologien die durch stabile Beziehungen ermög licht werden und der Festlegung von gegenseitigen Verpflichtun gen dienen und interpersonalen Normen und nor mativen Erwartungen die ihrer seits das Erreichen von bestimmten Zielen ermöglichen oder das Com mitment zur Gesellschaft fördern Es sei an dieser Stelle auf die These von Harris et al 2017 17 hingewiesen der zufolge die ausstiegsbegleiten den Interventionen vor allem die nor mativen affektiven und praktischen Diskrepanzen zwischen der persona len und der Gruppenidentität bzw zwischen der postulierten und tat sächlichen Gruppenrealität anvisieren sollten Mit Blick auf die Spezifizität deradikalisierender Interventionen und die Förderung der Ausstiegsmo tivation gilt es überdies die Empfeh lung von Dalgaard Nielsen 2013 210 zu beherzigen die deradikalisieren den Interventionen und Diskurse auf die normativen affektiven und prakti schen Zweifel der Aussteigenden aus zurichten Da die sozialen Ressourcen für den Ausstiegsprozess zur Überwindung der Schmerzen des Ausstiegs und zwecks Aufbau einer alternativen Identität von besonderer Relevanz sind sind die auf Stärkung sozialer Bindungen gerichteten Maßnahmen von herausragender Bedeutung Die auf die Aktivierung der Pull Faktoren und Schaffung von alternativen Ange boten gerichteten Interventionen sol len daher Bindungen an die prosozia len Institutionen in der Gemeinschaft Familie Ausbildung und Beruf so wie an signifikante andere ermögli chen bzw fördern Roman et al 2017 326 f Das Literaturverzeichnis ist im Online PDF verfügbar https www forum kriminalpraevention de Dr Michail Logvinov ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungs und Informationsdienst Extremismus und Militanz FIDEM am ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur gGmbH Kontakt michail logvinov zentrum demokratische kultur de 1 Zum Ersten das Teilmuster desintegrierender Binnen erfahrungen im Szenekontext In diesen Bereich gehö ren konkrete Negativerfahrungen mit dem Verhalten anderer Szeneangehöriger und daraus resultieren de Entfremdungen von den in diesem Kontext aus gebildeten Beziehungen und geteilten Werten Zum Zweiten das Teilmuster sozialer Kontrolle in Referenz beziehungen Hierunter fallen positive und negati ve Erfahrungen in Familien Partnerschaften bereits bestehenden oder gerade aufgenommenen Freund schaftsbeziehungen und Kontakten außerhalb der Szene Zum Dritten das Teilmuster des Maturing Out also des alters bzw lebensphasebedingten Ablegens von Handlungsorientierungen und auch Einstellungen Zum Vierten das Teilmuster institutioneller Sanktionie rung Möller und Schuhmacher 2007 372
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