38 forum kriminalprävention 3 2020 SEXUELLER MISSBRAUCH begehungsprofil konnte die Analy se der Freitextschilderungen aus der POLAS Datenbank von jeweils 25 typi schen Fallbeispielen zu einem erwei terten Verständnis des Zusammen spiels der einzelnen Tatmerkmale in den Klassen beitragen Zudem verwie sen die Analysen über den betrach teten Berichtszeitraum von 2013 bis 2018 auf eine Zunahme des relativen Anteils derjenigen Tatbegehungsklas se die sich durch die Benutzung des Internets als Tatmittel auszeichnete wenngleich der größte Teil aller Miss brauchsfälle insgesamt betrachtet nach wie vor nicht auf einem Einsatz des Tatmittels Internet basiert Die Kenntnis der Spezifika der er mittelten Tatbegehungsklassen er möglicht auf einer übergeordneten Ebene eine zielgerichtetere Ausrich tung von Präventionsstrategien zur Reduktion von Opferrisiken indem gefährdete Opfergruppen gezielt sen sibilisiert werden und diesen ein spe zifisches Wissen zu Täterstrategien und situativen Risikokonstellationen vermittelt wird Hierfür sind in einem verständnisorientieren Sinne Erkennt nisse über das spezifische Zusammen spiel von Tatbegehungsmerkmalen erforderlich wie sie über die Tatbe gehungsklassen abgebildet werden Dadurch ist der hier verfolgte Klassifi kationsansatz geeignet die Konzepte der Akteure der polizeilichen Kriminal prävention sowie weiterer Hilfe und Fachstellen im öffentlichen Raum zu ergänzen und zu optimieren siehe Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes ProPK 2019 Eine isolierte statistische Darstellung einzelner Tatbegehungsmerkmale wie sie unter anderem in den Berich ten der Polizeilichen Kriminalstatis tik erfolgt bietet diese Möglichkei ten hingegen nicht Auf der anderen Seite sind auch Präventionsstrategien problematisch die sich lediglich auf besonders herausragende Einzelfall konstellationen stützen insbesonde re wenn man sich hierfür auf gegebe nenfalls realitätsverzerrende mediale Darstellungen bezieht Eine Beschrän kung auf besonders aufsehenerre gende Fallkonstellationen würde dem größten Teil der Taten und Opfer nicht gerecht werden Die Eigenschaften der entwickel ten Tatbegehungsklassifikation bie ten auch Anknüpfungspunkte für eine effektive und effiziente Strafverfol gung So können die identifizierten typischen Tatbegehungsmuster als Ausgangspunkt einer systematischen kriminalistischen Erforschung des in dividuellen Sachverhalts dienen Da bei geht es selbstverständlich nicht darum einen neuen Sachverhalt im Sinne eines konfirmatorischen Vor gehens in eine bestimmte Schablone zu zwängen und von der Vorstellung abweichende Spezifika des Einzelfalls zu ignorieren Allerdings kann die Bil dung von Hypothesen und deren kriti sche Überprüfung im Rahmen der Er forschung von Sachverhalten niemals dem luftleeren Raum entspringen sondern ist stets auch an den Vorstel lungsraum des Untersuchers gebun den vgl Kempf 2008 Kapitel 1 1 4 Die entwickelte Tatbegehungsklassifika tion will dem polizeilichen Ermittler diesbezüglich einen durch empirische Daten fundierten Vorstellungsraum bieten Auf Basis der identifizierten sieben Klassen wird ersichtlich in welch unterschiedlicher Art und Wei se sich sexuelle Missbrauchshandlun gen vollziehen können und es kann realitätsverzerrenden Vorstellungen anhand subjektiver Erfahrungsver arbeitungen entgegengewirkt wer den Darauf aufbauend können durch einen kritischen Ermittlungsprozess sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede eines gegebenen Ein zelfalls zu den identifizierten Tatbe gehungsklassen herausgearbeitet werden vgl Biedermann 2014 Klassenspezifische Implikationen für die Prävention und Strafverfolgung Abgesehen von diesen übergeord neten Betrachtungen soll an dieser Stelle noch konkreter auf Ansätze zur Reduktion von Opferrisiken und Ge währleistung einer effektiven Straf verfolgung eingegangen werden die sich aus den spezifischen Charakte ristika der Tatbegehungsklassen ab leiten lassen So wird anhand der Ty pologie erneut die Bedeutung von Missbrauchsdelikten innerhalb des familiären und sozialen Nahraums deutlich welche vor allem durch die Klasse 1 Missbrauchstaten inner halb des familiären und sozialen Nah raums mit erwachsenen Tatverdäch tigen und Übergriffen auf weibliche zumeist präpubertäre Mädchen re präsentiert werden Diese Klasse be inhaltete mit rund einem Drittel aller Fälle relativ betrachtet den mit Ab stand größten Anteil an den polizei lichen Verdachtsfällen sexuellen Kin desmissbrauchs Insbesondere bei Missbrauchsde likten innerhalb des engeren Famili enkreises sind die Opfer den Tätern in der Regel vergleichsweise schutzlos ausgeliefert Die Taten können durch Außenstehende nicht unmittelbar be merkt werden und gleichzeitig verfü gen die häufig noch sehr jungen Op fer über begrenzte Ressourcen das erfahrene Unrecht richtig einzuord nen und selbst andere Personen um Hilfe zu bitten Hinsichtlich der Prä vention dieser Taten erscheint daher ein wachsames Umfeld sowie ein pro aktiver Ansatz notwendig welcher Kinder dazu ermutigt sich bei der artigen Vorkommnissen an vertraute Personen zu wenden Diese Personen sollten im Kontext problematischer Familienkonstellationen gerade auch außerhalb des familiären Umfelds zur Verfügung stehen Unter anderem kommen hierfür Bezugspersonen aus dem Bereich des Kindergartens der Schule sowie des Freizeitvereins in Be tracht welche auf diese Aufgabe im Rahmen ihrer Ausbildung angemes sen vorbereitet werden müssen Gleichzeitig ist bei der Strafverfol gung die Gefahr der Erzeugung soge nannter falscher Erinnerungen durch suggestive Prozesse und Fragetechni ken zu beachten die gerade bei sehr jungen Kindern groß ist In diesem Rahmen verweisen Volbert Steller 2014 auf der Basis zahlreicher empi rischer Studien auf das Problem dass bestimmte Verhaltensauffälligkeiten welche unter anderem als sexuali siertes Verhalten beschrieben wer den bspw Imitation scheinbar sexu eller Handlungen sehr wohl durch Missbrauchshandlungen bedingt sein können hierfür allerdings auch ganz andere Hintergründe in Betracht kom men Wird dieses Problem nicht aus reichend beachtet entsteht in Verbin dung mit dem Glauben dass Kinder im Allgemeinen über sexuelle Miss brauchshandlungen nicht sprechen wollen das Risiko eines konfirmatori schen suggestiven Vorgehens bei der Befragung des Kindes In den typischen Fallbeschreibun gen zu Klasse 1 werden Verhaltensauf fälligkeiten von jungen Kindern nun explizit als Grund für den aufgekom menen Verdacht des sexuellen Miss brauchs deutlich Von Bedeutung erscheint deshalb dass aufkommen de Verdachte in solchen Konstel lationen einerseits nicht ignoriert werden andererseits aber ein sug gestives Vorgehen vermieden wird Eine Schlüsselfunktion nehmen hier

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