GEWALTPRÄVENTION 14 forum kriminalprävention 2 2021 Gewaltprävention in Deutschland Entwicklungslinien Fortschritte Defizite Perspektiven Wolfgang Kahl Die Polizeiliche Kriminalstatistik PKS registriert in den letzten 15 Jahren im mer weniger schwere Gewaltdelikte1 seit 2006 um etwa 18 rückläufig 2020 rund 177 000 Fälle und ein relativ stabiles Niveau vorsätzlicher einfacher Kör perverletzungen rund 373 000 Fälle Viele begangene Gewalttaten werden hingegen nicht entdeckt oder zur Anzeige gebracht und verbleiben im so genannten Dunkelfeld 2 In unterschiedlichen geografischen Räumen variiert deliktspezifisch und im Zeitablauf das Verhältnis zwischen Hell und Dunkel feld so dass generelle Annahmen über eine Dunkelfeldquote von Kriminali tät kaum zutreffend sein können Welche Gründe für die positive statistische Entwicklung der Gewaltkriminalität in Deutschland maßgeblich sind kann der zeit nicht eindeutig beurteilt werden Umfängliche präventive Bemühungen können einen wichtigen Beitrag geleistet haben Punktuell gibt es Evidenzen zur Wirksamkeit von Prävention Der Beitrag basiert auf einer Zulieferung zum geplanten 3 Periodischen Si cherheitsbericht der Bundesregierung PSB der in 2021 erscheinen sollte 3 Entwicklungslinien Fortschritte Defizite und Perspektiven der Gewaltpräven tion in Deutschland werden für verschiedene Handlungsfelder beschrieben Überblick Gewaltprävention zielt auf die di rekte oder indirekte Beeinflussung von Personen Situationen und oder Konstellationen um das Risiko zu ver mindern dass Gewalttaten begangen und Menschen erstmalig oder wieder holt zu Tätern oder Opfern von Ge walt werden 4 Gewaltpräventive Ef fekte können darüber hinaus durch wirtschaftlich ausgleichende und ge sellschaftlich zusammenhaltende Le bensverhältnisse in Verbindung mit vielfältigen sozialen Unterstützungs angeboten erzielt werden Die Praxis der Gewaltprävention in Deutschland ist vielfältig betrifft un terschiedliche Lebenskontexte wie etwa Familien Partnerschaften Pfle gekonstellationen Betreuungs Bil dungs und Freizeiteinrichtungen Gemeinschaftsunterkünfte öffentli che Räume oder Strafvollzug und fin det in einem komplexen Gefüge von Akteuren Regelungen Arbeitsweisen und Finanzierungen sowohl in staat licher als auch gesellschaftlicher Ver antwortung statt Eine verbindliche aufeinander abgestimmte Strategie wird für Deutschland vielfach gefor dert Voß 2019 ist aufgrund der un terschiedlichen Entscheidungs und Umsetzungsebenen sehr vorausset zungsvoll aufwendig und bislang nicht möglich 5 In einzelnen Hand lungsfeldern wie etwa die Präven tion von häuslicher oder extremisti scher Gewalt gibt es kontinuierliche Entwicklungen die zu verbesserten gesetzlichen organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen so wie abgestimmten Arbeitsweisen von Sicherheits und Sozialbehörden so wie zivilgesellschaftlichen Trägern ge führt haben Die professionellen Fachkräfte der Gewaltprävention arbeiten zumeist in sozialen Diensten Kitas Schulen oder Vereinen sowie bei freien Trägern oder als Trainer oder Multiplikatoren von Präventionsprogrammen Poli zei und Justiz tragen Verantwortung in der Gefahrenabwehr bzw im Rah men der Minimierung von Rückfällig keit ehemals Straffälliger Ehrenamt lich Aktive wirken in Vereinen mit und nicht zuletzt sind Eltern als zentrale Erziehungspersonen gefordert Präventionsmaßnahmen folgen im Idealfall dem Konzept von Risiko und Schutzfaktoren die es zu vermindern oder zu stärken gilt Sie betreffen die gesellschaftlichen Entstehungsbedin gungen von Kriminalität sowie perso nale Dispositionen Das unterschiedliche professionel le Selbstverständnis und die jewei lige spezifische Handlungslogik bei Polizei Justiz und Sozialer Arbeit er schweren ihre Zusammenarbeit bei der Gewaltprävention Neue Koopera tionsformen wie z B Häuser des Ju gendrechts oder vertrauensbildende gemeinsame Aus und Fortbildungs formate erleichtern und verbessern das notwendige Zusammenwirken Holthusen 2016 Zur Wirksamkeit präventiver Ar beit gibt es nach wie vor kein einheit liches Bild Walsh et al 2019 Einzelne Konzepte Programme bzw Ansät ze sind im Rahmen ihrer Entwicklung und Umsetzung wissenschaftlich eva luiert worden und können empfoh len werden Seit einigen Jahren gibt es Inventare bzw Datenbanken über die Informationen zur Effektivität und Praxistauglichkeit von konkreten Pro grammen und ihrer Wirkungslogik re cherchiert werden können Dennoch fehlt es an längerfristigen Studien um 1 Die statistische Kategorie Gewaltkriminalität umfasst die Straftatbestände Mord Totschlag Tötung auf Ver langen Vergewaltigung und sexuelle Nötigung Raub räuberische Erpressung Körperverletzung mit Todes folge Gefährliche und schwere Körperverletzung Er presserischer Menschenraub und Geiselnahme Nicht eingeschlossen sind vorsätzliche leichte Körperver letzungen sowie räuberischer Angriff auf Kraftfahrer und Angriffe auf den Luft und Seeverkehr 2 Der Deutsche Viktimisierungssurvey von 2012 geht z B bei Körperverletzungen von einer Hell Dunkel feld Relation von 1 2 bis 1 3 aus d h auf ein ange zeigtes Delikt kommen zwei bis drei nicht angezeigte Delikte Guzy Birkel Mischkowitz S 165 3 Zum Stand des Verfahrens liegen keine Informationen vor Der erste PSB erschien 2001 gefolgt vom 2 PSB 2006 4 Aus dem 2 Periodischen Sicherheitsbericht der Bun desregierung 2006 S 667 abgeleitete Definition 5 Die Initiative Gesamtgesellschaftliche Gewaltpräven tion Dr Sabine Bohne Prof Dr Heinz Cornel Wolf gang Kahl Prof h c Erich Marks Anna Rau Dr Robert Schlack Prof Dr Monika Schröttle Stephan Voß Prof Dr Klaus Wahl ruft die Bundesregierung deshalb dazu auf gemeinsam mit Ländern und Kommunen mit frei en Trägern mit einschlägigen Institutionen und Orga nisationen aus dem Bereich der Gewaltprävention mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen einer konzertierten Aktion eine Strategie für die Ent wicklung gesamtgesellschaftlicher Gewaltprävention zu erarbeiten Diese soll in ein bundesweit angelegtes Handlungskonzept münden das angepasst an die je weiligen Umstände vor Ort in den nächsten Jahren umgesetzt wird Voß 2019

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