EXTREMISMUSPRÄVENTION 28 forum kriminalprävention 4 2021 Abwendung vom Rechtsextremismus Abwendungsmotive von rechtsextrem orientierten Szenekontexten und ihre Kompensation Stefan Tepper Erstmalig wissenschaftlich betrachtete Benno Hafeneger 1993 personale Ausstiege aus bzw Abwendungsprozesse von rechtsextremen Szenekontex ten Seitdem ist eine Vielzahl von Studien nachgefolgt Abwendungsprozes se wurden sukzessive systematisch erforscht und differenziert dargestellt Im Zentrum der Entwicklung von Abwendungsmotiven so der Tenor steht der Umgang mit irritierenden bzw die eigene Szenezugehörigkeit und oder rechtsextreme Haltungen infrage stellende Erfahrungen Dies können u a ne gative Erlebnisse in rechtsextremen Szenezusammenhängen sein enttäusch te Erwartungen an Szenezugehörigkeiten juristischer oder sozialer Sankti onsdruck wichtige biographische Ereignisse Desillusionierung oder positive außerszenische Erfahrungsangebote vgl beispielhaft Bjørgo 2002 2009 Altier et al 2014 Unbeantwortet war bislang die Frage wie die Betroffenen mit die sen sie verunsichernden Erfahrungen umgehen Verbleiben sie in ihrem ext remistischen Umfeld oder wenden sie sich von der Szene ab Kompensation von Veränderungsdruck Grundsätzlich herrscht Einigkeit dahingehend dass irritierende Erleb nisse auf individueller Ebene nicht zu einem Ausstieg führen müssen Viel mehr werden sie oftmals so bearbei tet werden dass rechtsextreme Sze nezugehörigkeiten aufrecht erhalten bleiben Verunsichernde Ereignisse werden verdrängt geleugnet und an gezweifelt es wird gezögert gewich tet eingeordnet und geschwankt vgl Möller Schuhmacher 2007 Möl ler 2012 Pfeil 2016 van de Wetering 2018 Ein Effekt der in Forschung und Praxis häufiger in diesem Zusammen hang beschrieben wird ist das Entste hen von Leidensdruck im Sinne eines inneren Konfliktes vgl beispielhaft Buchheit 2002 Möller et al 2015 Pfeil 2016 van de Wetering Zick 2018 Zu dem wird festgestellt dass sich Ab wendungsmotive grundsätzlich im Verlaufe der Zeit aufsummieren bis schließlich Abwendungsideen in Ab wendungshandeln überführt werden vgl ebd Abgesehen von diesen Beschrei bungen fehlen bislang weiterführen de Systematisierungen des Umgangs mit Erfahrungen die rechtsextreme Szenezugehörigkeiten infrage stel len und Abwendungsprozesse beför dern Noch immer scheint es ange bracht festzustellen that we have limited data and knowledge to illumi nate the processes at an individual level of disengagement Bjørgo Hor gan 2009 S 245 Hier bietet die Ende vergangenen Jahres erschienene qua litative Studie Nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein eine weiter führende Erklärung an vgl Tepper 2020a Sie fokussiert zuvorderst Stra tegien zum Umgang mit Leidens bzw Veränderungsdruck d h dessen Bear beitung oder konkreter dessen Kom pensation vor dem Hintergrund der Aufrechterhaltung von rechtsextrem orientierten Szenezugehörigkeiten Zudem werden Zusammenhänge be trachtet die sich auf der individuellen Ebene als bedeutsam für die Entwick lung von Abwendungsmotiven her ausgestellt haben Die eingangs aufgezählten Erfah rungen beinhalten in der Regel impli zite Veränderungsaufforderungen Wenn es Dich stört was Du gerade er lebst dann ändere was Wird diesem Impuls nachgegangen müsste un mittelbar eine Abwendung von der rechtsextremen Szene folgen Den noch kann beharrlich an der Szene festgehalten werden wenn etwa Zu gehörigkeitsempfinden weiter mög lich ist und Anerkennungspotenzia le erschlossen werden können Der etwa durch Enttäuschung Wider spruchserfahrungoder Sanktion aus gelöste Veränderungsimpuls wird auf bestimmte Weise ausgeglichen Dies kann in Form einer Kompensation ge schehen Als bedeutsam hat sich im Untersuchungszusammenhang her ausgestellt auf welche Strategien und Ressourcen rechtsextreme Szenean gehörige zurückgreifen um diese Er fahrungen und Erlebnisse zu kompen sieren Dabei sind nicht nur die selbst angewandten Kompensationsstrate gien und handlungen der Szenean gehörigen von Bedeutung sondern auch in diesem Sinne nutzbare Ent sprechungen szenischer und außer szenischer Dritter Es wird deutlich dass rechtsextre me Szeneangehörige ihre Kompen sationsstrategien sehr wohl gezielt einsetzen um Veränderungsdruck zu reduzieren damit Abwendungs motive in den Hintergrund zu stel len und eine Fortführung ihrer Szenezugehörigkeiten zu ermögli chen Dies drückt sich beispielswei se darin aus dass Situationen aus denen Veränderungsdruck entste hen kann gemieden werden sowie irritierende Erfahrungen umge deutet oder alternative Narrative entwickelt werden sodass diese keinen Veränderungsdruck mehr nach sich ziehen So können staat liche oder gesellschaftliche Repres sionen beispielsweise als Aufwer tung der eigenen Person gelesen und ihnen so das Veränderung an regende Moment genommen wer den Irritierende Erfahrungen kön nen ferner als Normalität verbucht und als Szenezugehörigkeiten grundsätzlich innewohnend ein gepreist werden Die individuellen Kompensationsstrategien werden in der Regel entweder selbst ent wickelt oder sich beispielsweise aus dem sozialen Umfeld heraus über Lernprozesse angeeignet

Vorschau DFk forum kp 04-2021 Seite 30
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