BUCHTIPP 31forum kriminalprävention 2 2022 Ein folgender Abschnitt beschreibt das Verhältnis von Polizei und Politik so wie die Rolle der Polizeigewerkschaften GdP DPolG BDK PolizeiGrün e V Polizei und Politik bzw Ministerialbürokratie verbinde eine relativ beständige politi sche Allianz Die Polizeiführung wisse wie sie gegenüber der Politik auftreten müs se um den dort gestellten Ansprüchen gerecht zu werden sich die gewünsch te Unterstützung zu sichern und die ei genen Interessen durchzusetzen Die Ge werkschaften wirkten einerseits in die Organisation hinein vor allem durch die Mitarbeit in den Personalvertretungen andererseits haben sie großen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs über Polizei beruf zunehmende Bedrohungen und Si cherheitsbedürfnisse Bedarfe nach per soneller und materieller Verstärkung sowie Ausweitung der Befugnisse Auch trügen sie dazu bei dass sich die Auffas sung einer zunehmenden Respektlosig keit von Bürger innen gegenüber polizei lichem Handeln manifestiere Polizei hier in eine Opferrolle gerate Ein souveräner Umgang mit Kritik an polizeilichen Maßnahmen wäre bei Po lizei und Gewerkschaften wünschens wert stattdessen gäbe es eine Tendenz zu Burgmentalität und Trotzreaktio nen Indem sich die Polizei kritischen Fra gestellungen derart entzieht und die Aus einandersetzung verweigert weil sie ihre eigene Autorität ungerechtfertigt hin terfragt sieht und einen Vertrauensver lust in der Bevölkerung befürchtet geht sie auf Distanz zur Gesellschaft anstatt mit Transparenz und Aufgeschlossenheit zu reagieren Besonders heikel sei die 2017 geschaffene Strafnorm Tät licher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 114 StGB die schon bagatellhafte Handlun gen wie Schubsen erfasse und polizei liche Dominanz in Konfliktsituationen verstärke Insgesamt handele es sich um einen Kreislauf in dem Polizei an Bedeutung gewinne wenn Prävention und Sicherheit wichtiger werden Mutige Perspektiven des Wandels Im fünften und letzten Kapitel stellen die Autoren nochmals klar dass die Po lizei eine ambivalente Organisation sei die Hilfe und Schutz gewährleiste aber eben auch eine strukturell innewohnen de Tendenz zu martialischem Verhalten übertriebenem Gewalteinsatz und Stig matisierung von marginalisierten Grup pen wie z B Obdachlose Geflüchtete politische Aktivist innen zeige Phäno mene wie Diskriminierung Rassismus oder rechtswidrige Gewalt seien letzt endlich Symptome der gesellschaft lichen Rolle der Polizei nämlich in der Aufrechterhaltung der bestehenden ungleichen sozialen Ordnung Durch die Art und Weise wie sie ihren gesetz lichen Aufträgen nachkomme repro duziere sie die bestehende soziale Ord nung und ihre Machtverhältnisse Die finalen Fragen sind sodann ob sich die strukturelle Widersprüchlich keit auflösen lasse bzw wie Perspek tiven für die Zukunft einer Institution aussähen deren Probleme so fest in ihre Struktur eingewoben sind Eine weitere Frage lautet wie viel und wel che Polizeiarbeit die Gesellschaft wirk lich benötige Die Autoren sehen Chancen für eine Demokratisierung indem zukünftig nicht nur Exekutivgewalt wirksameren Kontrollmechanismen unterliege son dern auch eine aktive Zivilgesellschaft der Organisation bei der Arbeit auf die Finger schaue Damit könne das Selbst verständnis einer demokratischen de mütigen dienenden Polizei gestärkt werden wenngleich offene und selbst kritische Bereitschaft zur Diskussion bislang eher durch selbstbewusste Ab schottung verhindert werde Bei aller Kritik Aktuell zeigt die deut sche Polizei die historisch bereits eine erhebliche Entmilitarisierung und Demo kratisierung erfahren hat etwa eine vor sichtige neue Offenheit für unabhängige Forschung und teilweise einen aktivieren Umgang mit Problemen wie rechtswidri ger Gewalt und Rassismus Es handele sich um einen permanenten Prozess in dem die Kontrolle Begrenzung Bin dung und inhaltliche Ausrichtung der Polizei auf die Grund und Menschen rechte von der Zivilgesellschaft dau ernd neu erstritten werden müssten und zwar immer wieder gegen Wider stände in der Organisation man denke an die Debatte um die Kennzeichnungs pflicht von Einsatzkräften Zivilisierung und Demokratisierung seien nicht ohne und gegen die Polizei möglich Sie müsse das Selbstverständ nis einer offenen und reflektierenden Polizei entwickeln die im permanenten Austausch mit der Gesellschaft ste he Kritik aushalte und sich konstruk tiv damit auseinandersetze sowie die Kontrolle von außen nicht als Vorwurf wahrnehme sondern als Selbstver ständlichkeit akzeptiere Andere Kont rollstrukturen werden vorgeschlagen wie unabhängige Polizeibeauftragte oder gesonderte Polizeiaufsichtsbe hörden Gleichzeitig gelte es die inne re Fehlerkultur zu stärken Schließlich werden Ansätze vorge stellt die einen vollständigen Umbau der staatlichen Strukturen zur Gewähr leistung von Rechtsstaat und gesell schaftlichem Zusammenhalt nach sich ziehen würden Defund and Abolish Ei nerseits gehe es um die Verlagerung von bisher polizeilichen Aufgaben und Budgets auf andere besser geeignete Stellen sowie um eine Abschaffung des Strafvollzuges bzw des Strafens Die Gedanken werden zwischen den Po len von Utopie und einzelnen Realisie rungsmöglichkeiten erörtert Die Autoren plädieren sodann für eine Verkleinerung der Polizei en und einen Transformationsprozess bei dem Aufgaben neu definiert aber auch Mittel und Befugnisse begrenzt werden Um nächste Schritte gehen zu kön nen gelte es gesellschaftlich und poli tisch über die Möglichkeiten und Gren zen der Demokratisierung der Polizei zu sprechen und auszuhandeln wo ihre Aufgaben und Befugnisse wirklich erforderlich und zweckmäßig sind was Sicherheit bedeuten soll und für wen sie wie aussieht Fazit Die Stärke des Buches ist die nach vollziehbare Herleitung von internen Schieflagen und problematischen Ver haltensweisen in einer staatlichen Großorganisation Nicht einzelne Be amt innen werden kritisiert sondern die Strukturen und Umstände erklärt die bestimmte Tendenzen wie etwa Ra cial Profiling zulassen Die Bewertungen und Einordnun gen die Benjamin Derin Tobias Sin gelnstein vornehmen können in einem offenen Diskurs auch anders ausfallen Die zweifellos erkennbaren Fortschrit te bei der Demokratisierung der Poli zei und den Anknüpfungsmöglichkei ten ließen sich deutlicher darstellen Die Vision einer polizeiarmen Gesell schaft irritiert auf den ersten Blick sollte aber ernsthaft in Betracht ge zogen werden Ich empfehle die Lektüre allen Inter essierten und besonders den Kolleg in nen die an einem selbst kritischen Diskurs teilnehmen möchten und ich danke den Autoren für die sehr gelun gene Inspektion w k Prof Dr Tobias Singelnstein forscht und lehrt an der Goethe Universität Frankfurt a M Fachbereich Rechtswissenschaft Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie Benjamin Derin ist Rechtsanwalt in Berlin und insbesondere in den Bereichen Strafverteidigung und Verfassungsrecht tätig

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