2 forum kriminalprävention 4 2022 EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser 2022 wird als Jahr der Zeiten wende bezeichnet Gemeint sind eine Umkehr der vielversprechen den politischen Entwicklungen seit 1990 sowie der vielfach einsetzen de Bewusstseinswandel hin zu mehr Wehrhaftigkeit unserer freien Gesell schaftsordnung Der damalige Aufbruch nach dem Ende des Kalten Krieges war vom Op timismus einer besseren Welt ge tragen Gerade in Mittelosteuropa vollzog sich ein Wandel hin zu Demo kratie persönlicher Freiheit und ge sellschaftlichem Wohlstand nicht überall gleichermaßen verlässlich aber zumeist unumkehrbar z B durch die EU Mitgliedschaft Die Zeitenwende dieses Jahres be trifft das System kollektiver Sicher heit in Europa das durch den russi schen Einmarsch in die Ukraine in eine massive Konfrontation überge gangen ist Kompromisse sind kaum erreichbar und die Eskalationsspirale von Sanktionen nimmt ihren Lauf Die Realpolitik die Interessen und Macht zu den wesentlichen Variablen zählt zeigt einer kooperativen Diplomatie ihre Grenzen auf Wirtschaftliche Ver flechtungen können Konflikte nicht mehr einhegen und führen unter Umständen zu problematischen Ab hängigkeiten Für die Demokratien hat die Bedrohung zugenommen Bündnissolidarität bekommt einen neuen Stellenwert Gleichzeitig trüben die Erfahrbar keit des Klimawandels durch expo nentiell zunehmende Katastrophen lagen und die Erkenntnisse über die zugehörigen Ursachen den Fort schrittsglauben Die Vorausberech nungen des Club of Rome von 1972 zur Erderwärmung und ihren Folgen können nicht mehr bestritten wer den Die Menschheit kommt näher an die Grenzen des Wachstums he ran und sucht nach Auswegen Ein fast unmögliches Vorhaben das we der global gesteuert werden noch die unterschiedlichen Interessen in eine wirksame Kooperation bringen kann Der präventive Ansatz liegt dennoch auf der Hand und fordert die Gesell schaften weltweit zum Handeln Was bedeutet es für die Gesell schaft wenn Ängste vor Krieg und Katastrophen zunehmen das Leben sprunghaft teurer wird weniger Lu xus möglich ist prekäre Lebenslagen sich verschärfen sowie auch die Pan demie noch nicht beendet ist Wie sensibel und wie resilient reagieren die Menschen im Einzelnen und als ge sellschaftliches Kollektiv Diagnostiker der gesellschaftli chen Entwicklungen bringen Unter schiedliches zutage Es sind weniger die Auseinandersetzungen von gro ßen gesellschaftlichen Gruppen die etwa kollektive Ansprüche nach Teil habe und Wohlstand einfordern als vielmehr individualisierte Sensibilitä ten die vielfältige Partikularinteres sen hervorbringen Der Prozess einer Sensibilisierung der Gesellschaft als unbestreitbar wesentlicher zivilisa torischer Fortschritt hat die Kehrsei te einer zunehmenden Überempfind lichkeit und Verabsolutierung eigener Standpunkte Die Diskussion um das was zumutbar ist was gesagt werden darf und wogegen vorgegangen wer den soll zeigt doch in welcher Am bivalenz berechtigte und überreiz te Ansprüche ausbalanciert werden müssen und zuweilen dabei vom We sentlichen ablenken Die Vehemenz nimmt bei vielen zu besonders in den sozialen Medien Das Spektrum von Hassbotschaften und taten beginnt beim Nachbarschaftsstreit und endet im politischen Extremismus Auch die Klimaaktivisten stoßen an die Gren zen des Zumutbaren gleichwohl ih rem Anliegen eine große Mehrheit in der Gesellschaft zustimmt Im Hinblick auf die innere Sicher heitslage gibt es zwar wenig Anlass zur allgemeinen Besorgnis dennoch gibt es Anzeichen die eine besondere Aufmerksamkeit auslösen Beachtlich sind etwa aktuelle Erkenntnisse zur Vorurteilskriminalität Etwa die Hälf te aller Opfer von Körperverletzun gen ist der Meinung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe angegrif fen worden zu sein wie der BKA Vik timisierungssurvey offenlegt Grup penbezogene Menschenfeindlichkeit ist ein ernst zu nehmendes Problem das vor allem innergesellschaftlich zu bearbeiten ist Politische Bekenntnisse zur Prä vention sind wiederum wichtig zur Motivation der Menschen die in den unterschiedlichen präventionsbe zogenen Handlungsfeldern arbei ten und dadurch an gesellschaft lichen Prozessen mitwirken Der Bundesminister der Justiz Dr Marco Buschmann hatte als Kuratoriums präsident dazu Gelegenheit bei der 20 jährigen Jubiläumsfeier des DFK am 25 Oktober 2022 in Berlin Wenn von Kriminalprävention die Rede ist denken die meisten vielleicht insbe sondere an Polizei und Justiz Ein ech tes Zuvorkommen aber setzt viel frü her an und oftmals dort wo viele es gar nicht vermuten würden In der Kita In der Schule In der Freizeit Im Sozial raum Durch Bildung Durch Chancen gleichheit Durch Teilhabemöglichkei ten Durch Projekte die zum Beispiel dabei helfen dass Vorurteile gar nicht erst entstehen und somit zur Grundla ge einer späteren Radikalisierung wer den können Durch die Professionali sierung präventiver Akteure die diese befähigt mit fundiertem Wissen mit ihrer jeweiligen Zielgruppe in Kontakt zu treten Auch die Botschaften und Wün sche die Professor Dr Andreas Be elmann beim Festempfang vor getragen hat schließen an das ministerielle Bekenntnis an Präven tion könne Wirksamkeit nachweisen und helfe besonders Familien mit Kin dern die einem hohen Risiko für Ent wicklungsprobleme unterliegen Zu dem seien langfristige Konzepte die jeweils altersspezifische Präventions angebote machen besonders loh nend Allerdings gebe es ungeheure Schwierigkeiten bei der Integration von evidenzbasierten Programmen in die Praxis der Regelversorgung Es bedürfe dazu tragfähiger Strukturen mit Vermittlern für die Verbreitung von wissenschaftlicher Erkenntnis Insgesamt müsse die Gesellschaft der sozialen Kompetenz Bildung eine viel größere Bedeutung beimessen Liebe Leser innen ich bedanke mich für das Interesse am forum kriminalprävention Der Wertschät zung ihrer wichtigen präventiven Ar beit die in den vielen Fachbeiträgen immer wieder zum Ausdruck kommt schließe ich mich unbedingt an Ich wünsche Ihnen auch stellver tretend für Vorstand und Team des DFK ein geruhsames Weihnachts fest und einen fröhlichen Jahres wechsel Ihr Wolfgang Kahl

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