27forum kriminalprävention 3 2015 EXTREMISMUS UND PRÄVENTION 4 das Opfer durch Stigmatisierungen abgelehnt 5 Nicht selten wird die Verantwor tung durch Verlagerung auf äußere Umstände abgelehnt Der Täter po sitioniert sich als Opfer widriger Umstände einer Provokation des Gruppendrucks des Frustes oder seines Alkoholkonsums 41 Setzt man die Mechanismen der so zial kognitiven Informationsverarbei tung in Bezug zu Rechtfertigungs und Neutralisationstechniken ergibt sich daraus eine etwas andere Pers pektive auf die vermeintlich spontan expressiven Gewalttaten Henner Hess und Sebastian Scheerer verwiesen be reits in ihrer allgemeinen Theorie der Kriminalität auf folgenden Sachverhalt Je genauer man schaut desto deutli cher wird dass die Dynamik der Situa tion zwar häufig als verführerischer Zwang empfunden und vom Handeln den wie manchmal auch vom Krimino logen als determinierend interpre tiert wird letztlich aber doch keineswegs so unabhängig von Ent scheidungen des Akteurs ist wie er und andere es gerne sähen So ist auch die spontane und hoch affektgeladene actio nicht selten libera in causa Der Täter arbeitet sich also in den Determi nismus hinein der ihn dann beherrscht bzw von dem er sogar will dass er ihn beherrsche 42 Denn das gesuchte Ge fühl determiniert zu sein könne im Zusammenhang mit der Hingabe an die Faszination der Gewalt innere Kon trollen neutralisieren und später der Rechtfertigung der Tat dienen Gruppendynamik und Radikalisierung der Gewalt Produktive Wechselwirkungen zwi schen Phänomenologie und Ätiologie des Gewaltaktivismus die in der Radi kalisierungsforschung nur stiefmütter lich behandelt werden verdienen be sondere Aufmerksamkeit Nach Roland Eckert muss Gewalt auch als unabhän gige Variable erkannt werden wenn Persistenz und Radikalisierung erklärt werden sollen 43 Gewalterfahrungen wirken und die Erfahrung die Be richte und die Imagination solcher Er fahrungen ist ein zentrales Element so wohl persönlicher Biografien als auch politischer Prozesse so Eckert 44 Ge walt ist somit als Ursache weiterer Ge walttätigkeiten und nicht nur als Folge von Einstellungen zu reflektieren Am Beispiel der Intensivtäter lässt sich die ser Zusammenhang am besten beob achten zum einen in Form eines Ver stärkungseffekts auf den Ebenen der AK und PMK Gewalt zum anderen im Bereich der rechten Gewalt wenn sich wertrationale affektuelle und habitu elle Modi bedingten und oder ergänz ten Des Öfteren kommt es bei Tätern zur Steigerung der Gewaltintensität weil Mitglieder der Gruppierungen sich nicht nur gegenseitig bestärkten son dern auch spezifische Eigenschaften und Fertigkeiten aneigneten bzw wei terentwickelten Die intrinsische Befriedigung durch Aktionen führt in vielen Fällen eben falls zur Zunahme der Gewaltfrequenz Neben instrumentellen Motiven der Gewaltausübung spielt zudem der Status in der Gruppe und die Außen wahrnehmung Imponiergehabe eine nicht zu ignorierende Rolle für die Zu nahme der Gewalt Nach der Motivlage der Akteure Um zu Motiv der Handlung lässt sich festhalten dass Gewalttaten rech ter Gruppierungen aus mindestens vier sich ergänzenden Gründen verübt wurden 1 um Spaß zu haben und Lustgewinn zu erzeugen 2 um die Abgrenzung nach außen und Solidarität bzw Identität nach innen herzustellen 3 um einen Zweck durch instrumen tellen Einsatz der Gewalt zu errei chen und schließlich 4 um eine Botschaft zu senden Ge walt als Kommunikationsmedium 45 Fasst man die ersten drei Subtypen der rechten Gewaltmotive als Ideal typen auf ergibt sich daraus dass sie dazu geeignet waren Radikalisie rungsschübe auszulösen Gewaltan wendung zum Lustgewinn Adrena linkick infolge der physischen Überlegenheit der Schmerzen des Opfers und der Außerkraftsetzung der alltäglichen Kontrollmechanismen gipfelt beispielsweise in einigen Fällen in Auswüchsen der extrem lebensbe drohlichen Tatausführungen Der inst rumentelle Gewalteinsatz mündet in einigen markanten Fällen in deutlicher Erhöhung des Planungs und Vorbe reitungsaufwandes einhergehend mit systematischen Ausspähaktionen konspirativen Verhaltensweisen und gezielten Anschlägen Fazit Anomie Deprivations und auch In dividualisierungstheorien vermögen es kaum die Spezifik der rechten Gruppen Gewalt zu erklären Eher bringen die Geschlechts und die Al tersvariable Licht ins Dunkel des ado leszenzbedingten anomischen Zu standes der mehrheitlich jugendlichen rechten Täter deren individuelle Risi ko und Schutzfaktoren ihre Wirkung im Zusammenhang mit dem Einfluss sozialer Kontrollinstanzen entfalten Vor allem die Assoziationsthese wird bestätigt Als zutreffend erweisen sich der Anschluss an rechte Gruppen und die gemeinsame Freizeitgestaltung Denn die Subkulturen der Gewalt för dern niedrige Impulskontrolle und ins trumentelle Aggression Die Subkultu ren der Gewalt tragen dazu bei dass Täter feindbildinduzierten Hass erler nen und infolgedessen zu effektiven Aggressoren werden In rechten Sub kulturen verkümmern die zivilen sozia len Kompetenzen wobei die Gewalt anwendung unter anderem zur rituellen Beschwörung der Gruppen identität gehört Die Szene blockiert die politische Sozialisation und führt zur sozialen Rollenarmut 46 Darüber hi naus stellen Gewaltgruppen Interpre tationsregime mit einer spezifischen Richtung von Motiven sowie Techni ken zur Tatausführung und Rechtferti gungs bzw Neutralisierungstechni ken zur Verfügung Die Radikalisierung der Gewalt die Steigerung der Gewal tintensität und frequenz ist in vielen Fällen eine der Folgen der gruppendy namischen Prozesse Gewaltbereites Verhalten hat sei nen Ursprung in einer eskalierenden Trias von genetischen Determinanten Neurobiologie und schädigenden Er fahrungen in einer ungünstigen sozia len Umwelt Das Gehirn bestimmt das Verhalten aber auch das Verhalten be stimmt das Gehirn 47 Einiges spricht dafür die Kumulation bio psycho sozi aler Risiken zu berücksichtigen ohne jedoch die Biologie und die Psycho bzw Sozialpathologien welche die Be sonderheit der rechten Gewalt nicht erklären überbewerten zu wollen Dr Michail Logvinov ist freier Mitarbeiter am Hannah Arendt Institut für Totalitarismusforschung TU Dresden Kontakt michail logvinov mailbox tu dresden de 41 Vgl Lamnek Individuelle Rechtfertigungsstrategien S 1387 f 42 Hess Scheerer Theorie der Kriminalität S 89 43 Vgl Eckert Die Dynamik S 264 44 Ebd S 264 45 Vgl Lamnek Individuelle Rechtfertigungsstrategien S 1382 46 Vgl Rommelspacher Der Hass hat uns geeint Buschbom Anlass oder Legitimation 47 Piefke Markowitsch Genetisch biologische und umweltbedingte Determinanten S 26

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