forum kriminalprävention 3 20152 EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser Wenn das Leben wütet ist eine treffliche Zustandsbeschreibung für sehr viele Menschen die sich auf den langen Weg nach Europa machen und nach großen Strapazen hier an kommen Zumeist sind sie vielfälti gen Bedrohungen entkommen und suchen zu allererst Zuflucht Wie mag es den flüchtenden Fa milien gehen Die Frage regt an sich selbst einmal vorzustellen das eige ne Leben könnte sich in ein Flücht lingsdasein verwandeln Die Vorstel lung käme der vom Leben auf einem anderen Planeten gleich Medien steuern die Problemwahr nehmung hierzulande Über Wochen ist die Berichterstattung auf die hässliche Ablehnung von fremdem Zuzug gerichtet Hasserfüllte Pro teste und Brandanschläge auf ge plante und bewohnte Unterkünfte Der Tod von Flüchtenden zusam mengepfercht im Laderaum eines Kühltransporters erschüttert so dann und erweckt allerseits Zorn auf unmenschliche Schleuser und Fluchtprofiteure Kurz darauf schwenkt die mediale Aufmerksam keit auf den Wanderungsstrom der bislang unbekannte Ausmaße er reicht hat und auf das sehr große zi vilgesellschaftliche Engagement bei der Begrüßung und Unterstützung der vielen in Deutschland ankom menden Menschen Man gewinnt auch im Ausland den Eindruck die deutsche Willkommenskultur helfe dabei die entstehenden Probleme zu lösen Schließlich betonen die Me dien eine Ernüchterung über die Aufnahmemöglichkeiten der Kom munen und die Handlungsfähigkeit von Politik und Verwaltung sowie ihre Grenzen Der Wunsch den un überschaubaren Ausnahmezustand zügig zu beenden wird deutlicher artikuliert und der öffentliche Dis kurs pendelt zwischen einerseits Hil feverpflichtung bzw Integrations chancen und andererseits Begren zung bzw Rückführung Eine Prognose fällt nicht schwer Die bevorstehenden Migrationsströ me werden unkontrollierbarer und eher vormodernen Wanderungen ähneln Aufgrund der Instabilität vie ler staatlicher Ordnungen und halt loser Gewaltprozesse etwa im Nahen Osten werden Bevölkerungsbewe gungen in neuem Ausmaß auch über die unmittelbare Nachbarschaft hin aus stattfinden Die Bindung an den heimatlichen Boden schwindet vie lerorts Deutschland ist nun zum Sehnsuchtsland der Freiheit gewor den Die Unterscheidung von unmittel bar politisch Verfolgten und Cha osflüchtlingen taugt nicht mehr so richtig Fluchtgründe werden kom plexer und bringen das klassische Asylrecht an Grenzen Es ist fraglich ob der Asyltatbestand die heutigen Fluchtursachen abbilden und als Al gorithmus dienen kann um vor übergehenden Aufenthalt und dau erhafte Bleibe zu regeln Die in Kopenhagen geborene Au torin Janne Teller wagte bereits 2001 ein eindringliches Gedankenexperi ment um ihren Lesern innen klar zumachen was es bedeutet Kriegs flüchtling zu sein Ihr Essay Krieg Stell dir vor er wäre hier ist eine Fiktion und eine Einladung an die ei gene Vorstellungskraft sich in das Leben als Flüchtling hineinzuden ken Eine deutsche Familie flüchtet aus dem heimischen Kriegsgebiet unter schwierigen Bedingungen nach Ägypten und erlebt wie der westeu ropäische Lebensstil auf erhebliche Vorurteile stößt und der Zustrom aus dem Norden nur mit großer Skepsis gemanagt wird Das Leben ist schwer Alles ist anders als zu Hau se Es gibt keine Jobs schon gar nicht wenn man fremd ist und die Sprache nicht spricht S 35 Die Sicht der aufnehmenden Gesellschaft dort Arbeiten können sie auch nicht Sie können kein Arabisch und sie sind es nicht gewöhnt zuzupacken Flücht linge aus Europa können nichts ande res als in Büros sitzen und Papiere umdrehen S 15 Die Flucht bedeu tet das bisherige Leben aufzugeben weil es unerträglich geworden ist Alles wird verkauft viel Geld gibt es nicht dafür es reicht gerade so für die Fahrt und die gefälschten Papie re Die flüchtende Familie setzt alles auf diese Chance Sechs Wochen dauert die Flucht nach Ägypten In einem Zeltlager wird der Asylantrag der Familie geprüft Man darf das Lager nicht verlassen bis es eine offizielle Aufenthaltsgenehmigung gibt Auch wenn die Bedingungen schlecht sind ist die Familie froh denn es ist ja nur für eine Über gangszeit S 26 Die Behandlung des Asylantrages zieht sich hin Das Lagerleben zehrt an den Menschen Es gibt nichts zu tun und es kommt zu Konflikten Zwei Jahre später be kommt die Familie befristet Asyl Trotzdem habt ihr Glück Viele ande re werden zurückgeschickt Ägypten hat keinen Platz für noch mehr Flüchtlinge Es herrscht sowieso schon Mangel an Wohnungen An Wasser An Geld Du solltest dankbar sein Deine Familie hat überlebt und nun könnt ihr bleiben bis der Krieg zu Ende ist S 34 Die Integration nimmt ihren schwierigen Lauf Ge danken an eine Rückkehr nach Deutschland bleiben allgegenwärtig Jeden Tag schwörst du dass du ein mal nach Deutschland zurückgehen und dein Leben wieder aufnehmen wirst Dein richtiges Leben S 37 Als der Krieg schließlich ein Ende hat ist Deutschland allerdings nicht mehr dasselbe Land und eine Rück kehr kommt nicht mehr infrage trotzdem denkst du jeden Tag dar an wann du nach Hause zurückkeh ren kannst Nach Hause Nach Hause S 51 Janne Teller geht es um die Frage wie sich Einstellungen zur Begeg nung und zum Zusammenleben fremder Kulturen verändern lassen und wie sich auch Haltungen entwi ckeln können mit denen die vielen Integrationsaufgaben besser gelöst werden können Sie lädt ein das Le ben der Anderen und ihr Schicksal nachzuvollziehen das hoffentlich nie unser eigenes sein wird Liebe Leserinnen und Leser ich lade Sie ebenfalls zu einem Perspektivenwechsel ein wenn es darum geht extremistische Radikali sierung zu verstehen und abzuwen den Herzliche Grüße Ihr Wolfgang Kahl

Vorschau DFK forum kp 03-2015 Seite 4
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