46 forum kriminalprävention 1 2016 OPFERSCHUTZ keits und Machtverhältnissen be rücksichtigt das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs StORMG aus dem Jahr 2013 StPO GVG und 2014 JGG Neben der Ausdehnung der Video vernehmung wurden die Konstella tionen zur Beiordnung eines Opfer anwalts und zum Ausschluss der Öffentlichkeit erweitert Zum Schutz von Opfern von Gewalt und Sexual taten erfolgte eine Verlängerung der Verjährungsregeln sodass zivil rechtliche Schadenersatzansprüche erst nach 30 Jahren verjähren und die strafrechtliche Verjährung statt des 18 bis zur Vollendung des 21 Le bensjahres des Verletzten gehemmt wird Das Dritte Opferrechtsreformgesetz hat der Bundestag am 3 Dezember 2015 einstimmig in der Beschluss empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz verab schiedet 12 Das Gesetz sieht u a eine Erweiterung und Neustrukturierung der Hinweis und Belehrungspflich ten gegenüber Verletzten vor Ein Kernstück ist die gesetzliche Veran kerung der psychosozialen Prozess begleitung in der Strafprozess ordnung Im Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren PsychPbG werden deren Grundsätze die Anforderun gen an die Qualifikation des psycho sozialen Prozessbegleiters sowie dessen Vergütung geregelt Das Opfer im Fokus des medialen Interesses Die opferorientierte Kriminalpolitik hat auch ein großes Echo in den Medi en gefunden 13 Dabei liegt der mediale Fokus auf Gewalttaten aufgrund des Neuigkeitswerts news value den eine nicht alltägliche und Bestürzung auslösende Schlagzeile ausmacht 14 Relevant sind deshalb Straftaten auf grund ihrer Schwere der besonderen Tatumstände der Person des Täters oder der des Opfers 15 Die mediale Konjunktur von Krimi nalitätsopfern schlägt sich nicht nur in der Berichterstattung über einzelne Opfer nieder vielmehr kommen die Betroffenen und ihre Angehörigen in Fernseh und Radiosendungen zu Wort Die mediale Aufmerksamkeit hat jedoch nicht nur Vorteile sondern birgt auch die Gefahr einer sekundä ren Viktimisierung Eine sekundäre Viktimisierung durch die Medien be günstigen folgende Konstellationen 16 Erstens können aufdringliche Journa listen das Opfer mit unlauteren Mit teln zu einem Interview drängen oder auch ein solches führen beispielswei se durch Drohung mit einer unvorteil haften Berichterstattung oder durch invasive Fragen vor laufender Kamera Zweitens vermögen Gerichtsrepor tagen unschöne Details des Tat geschehens publik machen und den Bewältigungsprozess des Opfers be einträchtigen Schließlich gelangen ungewollt private und sensible Tatsa chen an die Öffentlichkeit Dies ist zum Beispiel in Fällen von Kindesmiss brauch mit vielen Opfern der Fall wenn manche die Tat anzeigen und die Erziehungsberechtigten in den Medien auftreten aber andere Eltern und Opfer unerkannt bleiben möch ten Einer deutschen Studie über die Verarbeitung von Opferwerdung bei Gewaltkriminalität zufolge beurteilen die befragten Gewaltopfer mit Eigen tumsbezug die Berichterstattung zu zwei Dritteln wesentlich positiver als Opfer von Sexualstraftaten von denen umgekehrt zwei Drittel eine schlech te oder sehr schlechte Pressedar stellung angeben 17 Unabhängig hiervon impliziert die Hinwendung zum Opfer einen gesell schaftlichen Wandel durch Abkehr vom Täter indem das Opfer Aufmerk samkeit Empathie und soziale Aner kennung aufgrund seines Status auf sich bündelt Die zum Ausdruck ge brachte Solidarität mit dem bereits er wähnten idealen Opfer bildet den verbindenden Klebstoff einer opfer zentrierten Gesellschaft in der die po tenzielle Opferschaft den Referenz punkt darstellt Das Opfer ist nicht mehr ein unglückseliger Bürger dem durch ein Verbrechen Schaden wider fahren ist und dessen Belange dem öf fentlichen Interesse subsumiert wer den an dem sich die staatlichen Entscheidungen in Sachen Strafverfol gung und Bestrafung orientieren Das Opfer stellt in gewissem Sinne einen viel repräsentativeren Charakter dar dessen Erfahrung als allgemein und kollektiv statt als individuell und atypisch betrachtet wird 18 Die öffent lichkeitswirksame Erregung über kindliche Opfertragödien deren Insze nierung durch die Medien erfolgt ver führt in der Kriminalpolitik zu einer res triktiveren Gesetzgebung gegen über als gefährlich eingeschätzten Straftätern 19 Härtere Gesetze deuten zwar auf ein entschlossenes Eingrei fen der Legislative hin jedoch verbes sert sich hierdurch nicht per se die Stellung des Opfers vor Gericht So vermag ein Vergeltungsstrafrecht den opferfreundlichen Grundtenor in der Bevölkerung bedienen aber nicht die Gefahr einer sekundären und tertiären Viktimisierung beseitigen Dies gilt insbesondere für die beschriebene öf fentlichkeitswirksame Berichterstat tung mit negativen Folgewirkungen für das Opfer Die zuvor dargelegten Bemühun gen der deutschen Gesetzgebung weisen bei der Stärkung des Verletz ten im Strafverfahren allerdings in eine andere Richtung Hier geht es um opferorientierte Verbesserungen die auch aus Resozialisierungsperspektive auf Akzeptanz stoßen und täterorien tierte Übersteigerungen des moder nen Strafrechts 20 abmildern Kriminalprävention in der Opferhilfe Ein großes Verdienst der Opferhilfe verbände ist dass sie nicht nur soziale und finanzielle Unterstützung für Op fer von Straftaten leisten sondern ih nen auch in der Kriminalpolitik eine Stimme geben Die wohl bekannteste 12 BT Plenarprotokoll 18 141 14064 B sowie Anlage 5 14084 B ff Beschlussempfehlung BT Drs 18 6906 basierend auf einem Entwurf der Bundesregierung BT Drs 18 4621 13 Barton Fn 5 im 1 Teil fk 4 2015 S 45 S 14 m w N 14 Reuband Karl Heinz 1998 Kriminalität in den Medien Erscheinungsformen Nutzungsstruktur und Auswirkungen auf die Kriminalitätsfurcht Soziale Probleme S 126 Baumann Ulrich 2000 Das Verbrechensopfer in Kriminalitätsdarstellungen der Presse Eine empirische Untersuchung der Printmedien Freiburg i Br Eigenverlag MPI S 42 15 Zum Nachrichtenwert ausführlich Schulz Winfried 1976 Die Konstruktion von Realität in den Nachrichtenmedien Freiburg Karl Alber S 29 ff 16 Vgl hierzu im Folgenden Groenhuijsen Marc Letschert Rianne 2014 Secondary victimization and the media an international and comparative perspective in Schäfer Peter Weitekamp Elmar Hrsg Establishing victimology Festschrift für Prof Dr Gerd Ferdinand Kirchhoff 30th Anniversary of Dubrovnik Victimology Course Mönchengladbach Hochschule Niederrhein Fachbereich Sozialwesen S 210 f 17 Richter Harald 1997 Opfer krimineller Gewalttaten Individuelle Folgen und ihre Verarbeitung Ergebnisse einer Untersuchung Mainz WEISSER RING S 80 f 18 Garland David 2008 Kultur der Kontrolle Verbrechens bekämpfung und soziale Ordnung in der Gegenwart Frankfurt a M Campus Verlag S 56 The victim is no longer an unfortunate citizen who has been on the receiving end of a criminal harm and whose concerns are subsumed within the public interest that guides the prosecution and penal decisions of the state The victim is now in a certain sense a much more representative character whose experience is taken to be common and collective rather than individual and atypical 19 Insbesondere bezogen auf die USA Weigend Thomas 2012 Internationale Entwicklungen bei der Stellung des Verletzten im Strafverfahren in Barton Stephan Kölbel Ralf Hrsg Ambivalenzen der Opferzuwendung des Strafrechts Zwischenbilanz nach einem Vierteljahrhun dert opferorientierter Strafrechtspolitik in Deutschland Baden Baden Nomos Verlagsgesellschaft S 33 f 20 So Schöch Fn 6 S 20

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