48 forum kriminalprävention 1 2016 OPFERSCHUTZ Interessenvertretung ist der WEISSE RING in dessen Opferarbeit die opfer orientierte Kriminalprävention ein wichtiges Anliegen bildet 21 Die Prä ventionsarbeit reicht von deliktspezi fischen Präventionstipps über Infor mationen zu Kriminalität in Vorträgen und Veranstaltungen bis hin zur Betei ligung an Präventionsprojekten Rat schläge zur Prävention gehören zum Standardrepertoire der Opferhilfe und beziehen sich auf die Sicherung des Wohnraums vor Einbruch oder wen den sich angesichts des demografi schen Wandels an die ältere Bevölke rung Einen wichtigen Bestandteil der Präventionsarbeit bilden auch Veran staltungen Hierzu gehören Projektta ge in Schulen über Cyber Mobbing Informationsstände zum Thema Zivil courage und Vorträge über Sicher heit von Senioren in Altersheimen Die alleinige oder gemeinsame Durchfüh rung von Präventionsprojekten ba siert auf einer Vernetzung mit Insti tutionen und Organisationen der Prävention auf allen Vereinsebenen von den Außenstellen bis hin zur Bun desgeschäftsstelle Neben den bereits genannten Themen liegen weitere Schwerpunkte der Präventionsarbeit auf Gewalt unter Jugendlichen häusli cher Gewalt Stalking und sexuellem Missbrauch Wer ist also die Zielgruppe der op ferorientierten Prävention Aus den Schwerpunkten ergibt sich dass ins besondere Frauen Kinder und Senio ren Adressaten der Präventionsarbeit sind Nach den obigen Ausführungen handelt es sich also um ideale Opfer die schwach und schutzbedürftig sind Mit dem Schwerpunkt Gewalt unter Jugendlichen wird jedoch die zahlenmäßig stärkste Opfer und Tä tergruppe nach den Heranwachsen den entsprechend den empirischen Erkenntnissen angesprochen Ange sichts dessen zeigt sich dass Vorbeu gungsmaßnahmen den Umstand be rücksichtigen dass Opfer nicht selten auch Täter sind Entsprechend dem Selbstverständnis des WEISSEN RINGS berücksichtigt eine opferorientierte Prävention deshalb ebenso den Tä ter oder die Tatsituation d h die Tatgelegenheit mit dem Fokus auf der Opferperspektive Demzufolge können sich Vorbeugungsmaßnah men auch an gewalttätige Jugendli che und Strafgefangene richten Ex emplarisch wird hier auf den Frauenstrafvollzug verwiesen Dort gibt es viele Betäubungsmittelabhän gige die wegen Beschaffungskrimina lität inhaftiert sind und in ihrer Kind heit und Jugend mannigfach Gewalt bzw sexuellen Missbrauch erfahren haben 22 Hier zeigt sich dass der Über gang vom Opfer zum Täterstatus mit unter fließend ist Fazit Mit einem Zitat des früheren Vorsit zenden des WEISSEN RINGS Reinhard Böttcher beginnt nun das Fazit weil Prävention immer ein Handeln auf Verdacht ist müssen das Risiko einer Stigmatisierung und die Gefahr über mäßiger Kontrolle stets im Blick sein Präventiver Opferschutz hat offenbar eine Dimension und eine Akzeptanz er reicht in der es Zeit wird über seine Grenzen nachzudenken 23 Im schein baren Gegensatz stehen hierzu füh rende internationale Vertreter der Vik timologie die in der EU Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten ein Vorbild für andere Staatengemeinschaften se hen 24 Während sich die EU Richtlinie auf den Opferschutz im Rahmen des Strafverfahrens bezieht umfasst die von Böttcher angesprochene opfer orientierte Prävention alle Ebenen d h Bund Länder und Kommunen ei ner interdisziplinären Praxis in einer unübersichtlichen und mitunter aus ufernden Präventionslandschaft Hier an schließt sich wiederum die Frage an Schießen bzw inwieweit schießen opferorientierte Kriminalprävention und Opferschutz über ihr Ziel hinaus Dabei ist vorauszuschicken dass hier zu keine abschließenden Antworten gegeben werden können sondern le diglich Überlegungen angestellt wer den die zu weiterem Nachdenken an regen möchten In Bezug auf den Schutz des Ver letzten im Strafverfahrensrecht be steht in der Wissenschaft wohl Einig keit darüber dass auf der einen Seite der verfahrensrechtliche Wandel vom passiven Tatzeugen zum aktiv Mitwir kenden in den vergangenen Jahrzehn ten überfällig war 25 Auf der anderen Seite wird vorgebracht dass Opferbe lange und rechtsstaatliche Grundsätze im Strafverfahren aufgrund der Täter zentrierung in einem Spannungsver hältnis stehen 26 Im Fokus steht der Angeklagte da es um die Aushandlung seiner Verantwortung für Tatunrecht geht 27 Mittlerweile gibt es ein reich haltiges rechtliches Instrumentarium zur Berücksichtigung von Opferinte ressen im Strafverfahren In der Krimi nalpolitik gehen die Reformbestre bungen dahin die Position des Verletzten im Strafverfahren im Sinne einer Anerkennung als selbstständiger Verfahrensbeteiligter weiter voranzu bringen 28 Allerdings ist bislang empi risch ungeklärt inwiefern sich in der Praxis die oben geschilderten Opfer stereotype nachteilig auswirken und die an und für sich wirkmächtigen Schutzmechanismen für den Verletz ten im Strafverfahren aushebeln Hier zu sind lediglich Einzelfälle aus der jus tiziellen Praxis und erste empirische Befunde aus Einzelstudien mit ange henden Juristen bekannt in denen eine Benachteiligung beobachtet wer den konnte wenn der Verletzte nicht dem Ideal eines Opfers entsprach 29 Die gut gemeinte Intention der Ge setzgebung eine sekundäre Viktimi sierung durch Stärkung des Opfer schutzes im Strafverfahren zu vermeiden könnte somit in der Praxis zumindest in Teilen der Rechtspre chung ad absurdum geführt werden Noch dazu liegt zum Phänomen der sekundären Viktimisierung selbst kaum belastbares empirisches Wissen 21 Die folgenden Inhalte stammen aus zwei unveröffent lichten Positionspapieren des WEISSEN RINGs e V Praktische Präventionsarbeit im WEISSEN RING e V und Prävention im WEISSEN RING e V Stand September 2014 22 Haverkamp Rita 2011 Frauenvollzug in Deutschland Eine empirische Untersuchung vor dem Hintergrund der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze Berlin Duncker Humblot S 525 f 656 f Fallbeispiel Kestermann Claudia 2005 Trainingscurriculum für den Frauenstraf vollzug gesundheitliche Aspekte in Dünkel Frieder Kestermann Claudia Zolondek Juliane Hrsg Internatio nale Studie zum Frauenstrafvollzug Bestandsaufnahme Bedarfsanalyse und best practice Greifswald Eigenpublikation S 24 f 23 So Böttcher Fn 2 im 1 Teil fk 4 2015 S 45 S 68 24 Waller Irvin 2014 A Bill of Rights for Victims in Schäfer Peter Weitekamp Elmar Hrsg Establishing victimology Festschrift für Prof Dr Gerd Ferdinand Kirchhoff 30th Anniversary of Dubrovnik Victimology Course Mönchen gladbach Hochschule Niederrhein Fachbereich Sozial wesen S 481 25 Barton Stephan 2012 Strafrechtspflege und Kriminalpolitik in der viktimären Gesellschaft Effekte Ambivalenzen in Barton Stephan und Paradoxien in Kölbel Ralf Hrsg Ambivalenzen der Opferzuwendung des Strafrechts Zwischenbilanz nach einem Vierteljahr hundert opferorientierter Strafrechtspolitik in Deutschland Baden Baden Nomos Verlagsgesellschaft S 111 133 26 Kunz Fn 3 S 4 27 Kunz Fn 3 S 4 28 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz Entwurf einer Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren 3 Opfer rechtsreformgesetz S 1 29 Einen Einzelfall beschreibt ausführlich Tolmein Oliver 2012 Nebenklage Eine Erweiterung keine Demontage des liberalen Strafverfahrens S 233 248 über Studien mit angehenden Juristen vgl Krahe Barbara 2012 Soziale Reaktionen auf primäre Viktimisierung Zum Einfluss stereotyper Urteilsmuster S 159 175 beide Autoren in Barton Stephan Kölbel Ralf Hrsg Ambivalenzen der Opferzuwendung des Strafrechts Zwischenbilanz nach einem Vierteljahrhundert opferorientierter Strafrechtspolitik in Deutschland Baden Baden Nomos Verlagsgesellschaft

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