10 forum kriminalprävention 2 2016 INTEGRATION UND PRÄVENTION EU Türkei Abkommen findet Insbe sondere die osteuropäischen EU Mit gliedsländer weigern sich die ihnen hieraus erwachsende Verpflichtung zu erfüllen nämlich die Aufnahme ei ner kleinen Zahl von syrischen Staats angehörigen aus der Türkei Nationa le Egoismen lassen sich allerorten im Umgang mit den großen Flüchtlings wanderungen beobachten sowie ein Erstarken rechtspopulistischer Strö mungen und Parteien Die beabsich tigte Reaktivierung nationaler Gren zen durch Zäune unterläuft die Frei zügigkeit im Schengen Raum und der nicht auszuschließende EU Aus tritt von Großbritannien schwächt den Zusammenhalt auf supranationa ler Ebene Im Vergleich zur europäi schen Entwicklung herrscht in Deutschland nach wie vor ein breites Bekenntnis zur EU vor sowie trotz al ler Skepsis mehrheitlich eine Integra tionsbereitschaft der Aufnahmege sellschaft gegenüber den bislang zu gewanderten Geflüchteten Im historischen Vergleich zur Zu wanderungsbewegung zu Beginn der 1990er Jahre lässt sich ein Lernpro zess in Politik und Medien erkennen Die polarisierende Asyldebatte und die massive Berichterstattung über den vermuteten Asylmissbrauch führten zu einer Aufnahme und Inte grationsverweigerung in weiten Tei len der Bevölkerung In dieser ange spannten Stimmungslage zog eine fremdenfeindliche Minderheit mit menschenverachtenden und tödli chen Brand Anschlägen auf Flücht linge und alteingesessene Migranten negative Aufmerksamkeit auf sich Im Gegensatz dazu ließen sich in der ers ten Phase des Zuzugs in das Bundes gebiet eine empathische Haltung und eine Willkommenskultur in Politik Medien und einem großen Teil der Ge sellschaft feststellen Einen Stim mungsumschwung leitete die Unge wissheit über das Anhalten der Flüchtlingswanderung die überwie gende Migration von Moslems sowie die Ereignisse der Silvesternacht 2015 in Köln und in einigen anderen Städ ten ein Die damit verbundenen Zu kunftsängste machen sich lautstark rechtspopulistische Kräfte wie die AfD zunutze die in Landtagswahlen bislang vermehrt Nichtwähler mobili sieren konnte und derzeit als Gegen modell zu den etablierten und ver meintlich verkrusteten Parteien reüssiert Rechtsextremistische und gewaltbereite Zirkel sehen sich auch im Aufwind und verübten im Jahr 2015 eine Vielzahl von Übergriffen auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte in bislang nicht gekannter Höhe Im Er gebnis ist die optimistische und posi tive Einstellung in Politik und Medien zum Flüchtlingszuzug partiell ge schwunden da in einer Gegenreakti on schlummernde Vorurteile und Ste reotype einer öffentlichkeitwirksamen und fraktionsübergreifenden Minder heit geweckt wurden Die derzeit zu beobachtende Polarisierung der Ge sellschaft ist besorgniserregend doch ist die strikte Ablehnung frem denfeindlicher Übergriffe des Groß teils der Bevölkerung ein gutes Zei chen für das Funktionieren der pluralistischen Zivilgesellschaft und zeigt die Notwendigkeit des Austra gens und Aushaltens von Konflikten in Demokratien Aufenthaltsrechtlicher Status von geflüchteten Menschen und seine Konsequenzen Die mit dem sog Asylkompromiss durchgesetzten Änderungen haben in der Praxis zur Bedeutungslosigkeit des Asylgrundrechts in Art 16a GG geführt denn nur ein Bruchteil der Antragsteller wird als politisch ver folgt anerkannt Hingegen spielt die Zuerkennung der weiter gefassten Flüchtlingseigenschaft i S d 3 Abs 1 AsylG gegenwärtig eine weitaus größere Rolle in Bezug auf die größ ten Zuwanderergruppen aus Syrien dem Irak und Afghanistan Im Zuge der europäischen Angleichung sind die Unterschiede hinsichtlich der auf enthaltsrechtlichen Rechtsstellung zwischen Asylberechtigung und Flüchtlingseigenschaft weitgehend weggefallen Asylberechtigte und an erkannte Flüchtlinge sind aufgrund ihres Aufenthaltsstatus gegenüber anderen Personen mit subsidiärem Schutz einem Abschiebungsverbot oder einer Duldung und illegalen Mi granten privilegiert und haben infol gedessen bessere Aussichten auf eine Integration in die Aufnahmege sellschaft Die Unterschiede im Auf enthaltsstatus verdeutlichen zudem dass im Rahmen der Kriminalpräven tion aufgrund der damit verbunde nen Statusunsicherheit weitere Dif ferenzierungen vorzunehmen sind die in diesem Kontext zu weit führen würden und deshalb nicht weiter verfolgt werden Darüber hinaus ließ der starke Zuzug die öffentliche Dis kussion um eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen aufle ben die in Bevölkerungsumfragen auf breite Zustimmung stößt In rechtlicher Hinsicht ist umstritten ob dem Asylgrundrecht eine Kapazi tätsschranke immanent ist oder ob eine verfassungskonforme Ergän zung erforderlich ist Als Individual grundrecht ist eine Gesetzesreform vorzuziehen die auf einen drohen den Staatsnotstand abhebt Dies lässt sich überdies aus der Integrations perspektive begründen Objektive Krisenindikatoren z B anhaltende Arbeitslosigkeit vermehrte Abhän gigkeit von Sozialleistungen und subjektive Krisenindikatoren z B Entstehung oder Verbreitung rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen beeinträchtigen den Integrationsprozess in die Aufnah megesellschaft Der starke Rückgang des Flüchtlingszuzugs seit März 2016 beruhigt und stabilisiert die Lage bei den verschiedenen Akteuren Kom munen Bundespolizei und ermög licht die Einleitung und den Aufbau von weiteren Eingliederungsmaß nahmen Die Einführung einer abso luten zahlenmäßigen Obergrenze wird jedoch abgelehnt um men schenrechtliche Schutzmechanis men für Schutzsuchende in Not nicht leerlaufen zu lassen Um der Überfor derung von Kapazitäten der Infra struktur vorzubeugen bedarf es der Steuerung und des Managements an hand von Prognosen über die Ent wicklung von Flüchtlingsbewegun gen in Richtung Europa Integration in der Einwanderungsgesellschaft Das Thema Integration beschäftigt die Bundesrepublik inzwischen seit über fünf Jahrzehnten und bildet sich auch in der Bevölkerungsent wicklung ab Etwa ein Fünftel der Be völkerung verfügt über einen Migra tionshintergrund und in der jünge ren Generation fällt der Anteil noch höher aus Integration wird hier als Prozess des Mitgliedschaftserwerbs in Institutionen sozialen Beziehun gen und sozialen Milieus der Mehr heitsgesellschaft sowie der Anglei chung der Lebensverhältnisse ver standen Dabei fordert Integration sowohl den Zuwanderern als auch der Aufnahmegesellschaft Integrati onsleistungen in einem generatio nenübergreifenden Prozess ab

Vorschau DFK forum kp 02-2016 Seite 12
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