19forum kriminalprävention 2 2016 VERBUNDPROJEKT TARGET gung einzelner Fälle konnten für den vierten Forschungsschwerpunkt in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgrup pe des Instituts für Psychologie und Bedrohungsmanagement IPBM ins gesamt 115 Täter von Amokandrohun gen im Zeitraum von 1999 bis 2012 er hoben werden Ahlig Hess Allwinn Hoffmann Scheithauer in preparati on c In Anlehnung an Cornell et al 2004 wurden die Androhungen in zwei Gruppen unterteilt Substanzielle Drohungen vor vermeintlich verhin derten Taten n 10 waren durch Tat vorbereitungshandlungen gekenn zeichnet Bei der Gruppe der flüchtigen Drohungen n 105 lagen keine konkreten Tatvorbereitungs handlungen vor Um für die retrospektive Fallanalyse auf eine möglichst objektive Daten grundlage zurückgreifen zu können wurden für alle identifizierten Fälle Hauptfälle Referenzstichprobe Amok drohungen die staatsanwaltschaft lichen Ermittlungsakten beantragt Die se zu den elf Hauptfällen sehr umfang reichen Akten enthielten in der Regel neben dem Urteil ein psychologisch psychiatrisches Gutachten Selbstzeug nisse des Täters der Täterin Zeugen aussagen etc In Abhängigkeit vom jeweiligen Forschungsschwerpunkt wurden zur Herausarbeitung der relevanten Infor mationen aus den Aktenmaterialien quantitative und qualitative Metho den genutzt Um die Hauptfälle mit den Referenzfällen vergleichen zu können wurde ein innerhalb des in terdisziplinären Verbundprojekts ent wickeltes und auf Reliabilität geprüf tes Codebook verwendet Göbel et al eingereicht TARGET Research Group 2014 Anhand der insgesamt zwölf In haltsbereiche u a Straftatbestände Tatanalyse Warnverhalten psychiatri sche Vorbelastung Persönlichkeitsei genschaften Radikalisierung soziale Belastungen Schutzfaktoren konn ten die Entwicklungsverläufe der Tä ter und die Tat selbst systematisch er fasst werden Im Teilprojekt der Berliner Arbeitsgruppe wurden insge samt 86 Fälle mithilfe des Codebooks kodiert Um Amokdrohungen ankün digungen und Warnverhaltensweisen ähnlich standardisiert zu erfassen und anderen Fallgruppen gegenüberstel len zu können wurde ein weiteres Codebook entwickelt welches eben falls auf Reliabilität getestet wurde Ahlig Göbel Allwinn Fiedler Leusch ner Scheithauer in preparation a und sowohl bei den elf Hauptfällen als auch bei den 115 Amokdrohungen zum Einsatz kam Um zugrunde liegende Mechanis men im Zusammenspiel entwicklungs psychologisch relevanter tatbegüns tigender und verhindernder sowie situativer Faktoren näher bestimmen und typische Entwicklungswege her ausarbeiten zu können wurden die vorhandenen Akten der Hauptfälle auf Grundlage der Methode des Theoreti schen Kodierens Glaser Strauss 2009 qualitativ analysiert Mithilfe ei nes eigens dafür entwickelten Verfah rens zur Analyse biografischer Fallver läufe wurden elf Einzelfallmodelle erarbeitet und miteinander kontras tiert Ausgewählte Ergebnisse Aussagekräftige Ergebnisse wur den in allen Forschungsschwerpunk ten erarbeitet von denen einzelne ausgewählt und vorgestellt werden Forschungsschwerpunkt Risiko und Schutzfaktoren im Entwicklungsverlauf Ein systematischer Literaturüber blick über internationale Studien zu Fällen schwerer zielgerichteter Schulgewalt Sommer Leuschner Scheithauer 2014 konnte zeigen dass Risikofaktoren in ihrer Dynamik und gegenseitigen Wechselwirkung zu betrachten sind Für die Ableitung tatrelevanter Faktoren muss auf das Zusammenspiel mehrerer Faktoren fokussiert und der subjektiven Be wertung des Täters Bedeutung bei gemessen werden Sommer Leusch ner Scheithauer 2015 Nachdem die Gruppe der elf Hauptfälle um acht versuchte Tötungen im Schulkon text ergänzt in diesen Fällen wurde lediglich eine Person vom Täter an ei ner Schule mit Tötungsabsicht ange griffen und diese erweiterte Stich probe inhaltsanalytisch kontrastiert wurde konnten zwei Typen schwerer schulischer Gewalttaten herausge arbeitet werden die sich in ihrem Entwicklungsverlauf fundamental un terscheiden Sommer et al in pre paration Die Unterscheidung ergab sich mithilfe der sequenziellen Ana lyse der biografischen Fallverläufe durch die Konzen tration auf relevan te Wendepunkte in den Lebensläufen der 19 Täter Im Kontext theoretischer Modelle die einen Zusammenhang zwischen einem intensiven Scham erleben und Aggressivität postulie ren Scheff Retzinger 2001 Thomaes et al 2011 konnten folgende psy chische und soziale Mechanismen ermittelt werden die den biografi schen Wendepunkten zugrunde lie gen Eine Erlebens und Verhaltens änderung des Täters stellte sich demnach im Anschluss an subjektiv wahrgenommene Kränkungserleb nisse ein wobei hierbei das Zusam menspiel individueller und sozialer Belastungs Faktoren zu berücksich tigen ist Die beiden Typen ergaben sich aus dem Umgang mit den inten siven Schamgefühlen im Zuge dieser Kränkungserlebnisse Während bei acht Tätern zunächst ein sozialer Rückzug und über eine lange Zeit spanne hinweg und ein Interesse an gewaltassoziierten Ideologien und Skripten zu beobachten war bevor sie mit der Tatplanung begannen re agierten elf Täter unmittelbar mit stark oppositionellem und aggressi vem Verhalten auf die Kränkung In der Folge provozierten diese Täter durch deviantes Verhalten einen star ken zwischenmenschlichen Konflikt meist mit einer Lehrkraft und setz ten die Tat nach einer vergleichswei se kurzen Planungsphase um Im Un terschied zur ersten Gruppe maßen sie ihrer Tat keine symbolische Be deutung bei und zeigten keine Affini tät zu gewaltspezifischen Skripten oder Ideologien Die Analyse der Ent wicklungswege aller bislang in Deutschland aufgetretenen Taten schwerer zielgerichteter Gewalt im Schulkontext weisen auf ein komple xes Zusammenspiel individueller ideologischer und sozialer Faktoren im Entwicklungsprozess hin wobei sich der Tatort Schule bei einigen Fäl len beinahe zufällig ergab Sommer Leusch ner Fiedler Scheithauer in preparation Forschungsschwerpunkt Mikrosoziologische Tatanalyse Als Ergebnisse der mikrosoziologi schen Analyse konnten zunächst all gemeine Merkmale der Tatsituation herausgearbeitet werden So betrug die Dauer von der ersten Tathandlung bis zu Beendigung der Tathandlungen im Durchschnitt 12 3 min und umfass te sieben Tatsituationen abgrenzbare Konstellationen von Anwesenden in Situationen Die durchschnittlichen Opferzahlen betrugen 3 3 Tote und 3 3 Verletzte womit eine im internatio nalen Vergleich 2 83 Tote 5 81 Verletz

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