36 forum kriminalprävention 2 2016 VERBUNDPROJEKT TARGET die Suizidmotivation nur begrenzt auf klären Die Täter waren vor der Tat rela tiv unauffällig bei ihnen fanden sich keine klassischen kriminogenen Risiko faktoren und keine gravierenden psy chischen Störungen III Taten mit phänomenologischen Schnittmengen zu Amoktaten und Fällen terroristischer Gewalt Eine kleine Gruppe von vier hier un tersuchten Fällen weist Berührungs punkte zu Amoktaten bzw terroristi schen Taten auf In drei Fällen in denen Personen aus dem sozialen Umfeld der Täter getötet wurden Eltern Großel tern Nachbarn gab es durch Auf zeichnungen die die Täter angefertigt bzw hinterlassen hatten Hinweise auf eine intendierte oder fantasierte letztlich aber nicht realisierte Fortset zung bzw Ausweitung der Tat auf den Plan eines großen Knalls oder eines Rachefeldzugs auch gegenüber Per sonen außerhalb des Nahraums In zwei Fällen waren derartige Amokfan tasien mit rechtsextremer Symbolik und Hinweisen auf ein entsprechendes Weltbild verknüpft Hier wie auch in dem Fall eines Jugendlichen mit Kon takt zur rechten Szene der nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung drei russischstämmige Jugendliche mit dem Messer tötete war der Stellen wert einer ideologisch begründeten Tatmotivation jeweils nicht mit hinrei chender Eindeutigkeit erkennbar um die Fälle dem Phänomenbereich terro ristischer oder extremistischer Gewalt taten zurechnen zu können IV Spezifische Fallkonstellationen Hinzu kommen einige Fälle die vor dem Hintergrund in hohem Maße spe zifischer Täter Opfer Konstellationen keiner der bislang beschriebenen Fall gruppen zugeordnet wurden Dies gilt etwa für das suizidal motivierte Her beiführen einer Gasexplosion in einer Trennungssituation bei welcher der Täter den Tod von Hausnachbarn von denen einer letztlich ums Leben kam in Kauf nahm oder für die Tötung des besten Freundes und eines Verwand ten des Täters in einem situativ eska lierten Streit Multiple Tötungsdelikte junger Täter eine Zwischenbilanz Vorsätzliche Mehrfachtötungen durch junge Menschen erweisen sich als seltene typischerweise von männ lichen Tätern begangene ansonsten jedoch phänomenologisch heteroge ne Ereignisse Sie sind in der Mehrzahl durch enge prädeliktische Beziehun gen des Täters zu mindestens einem Opfer gekennzeichnet Die oben skiz zierten Fallgruppen weisen deutliche phänomenologische Bezüge zu weiter verbreiteten Formen von Kriminalität oder Gewalt auf zu denen jeweils ei gene sozialwissenschaftliche oder auch medizinische Forschungssträn ge existieren wie etwa Gewalt in Paarbeziehungen familiale Gewalt Homizid Suizid rauschmittelinduzier te Gewalt oder Gewalt im Zusammen hang mit psychischen Erkrankungen Insofern lassen sich die hier unter suchten Mehrfachtötungen im We sentlichen als besonders gravierende Ausformungen weiter verbreiteter Gewalt und Kriminalitätsphänomene verstehen Der Schritt zum multiplen Tötungs delikt Dies wirft die Frage auf wie in diesen Fällen der Schritt zum multi plen Tötungsdelikt bzw überhaupt zu einer Tötungshandlung verstanden werden kann Auch diesbezüglich zeigt sich eine große Heterogenität der Fallkons tellationen In manchen Fällen richtet sich das Motiv wie Rache oder der Aus gleich von erlebten Kränkungen be reits zu Beginn gegen mehrere Perso nen und die Tat wird entsprechend umgesetzt In anderen Fällen geht es um das Beseitigen von Tatzeugen oder Personen die ein Tat hindernis darstel len In Suizidfällen werden die multi plen Opfer billigend in Kauf genom men sie sind jedoch weder als Person noch in ihrer Funktion etwa als Tatzeu ge oder Tathindernis vom Täter ge meint In den durch vorangehenden Substanzkonsum geprägten Fällen spielt die enthemmende und die Im pulskontrolle reduzierende Wirkung von Alkohol in Bezug auf interpersona le Aggression eine Rolle Bei Tötungs delikten vor dem Hintergrund schwer wiegender psychischer Erkrankungen ist die Handlungssteuerung und moti vation der Täter weitgehend von der Realität abgekoppelt Paranoide Stö rungen implizieren häufig ein Gefühl der umfassenden Bedrohung mit der denkbaren Folge dass sich die Aggres sion dann auch gegen mehrere Perso nen richtet Insbesondere im Vergleich mit Amoktaten und terroristischen Taten sind bei aller Heterogenität des Fall materials Profillinien der JMFT Fälle erkennbar Es handelt sich um Taten bei denen die intendierte Opferzahl typischerweise eng begrenzt ist Ebenso sind Reichweite und Letalität von Tatmitteln oft gering die Tatmit telwahl erfolgt häufig situativ und nicht unter Aspekten maximaler Wirk samkeit In der Mehrzahl der Fälle hat mindestens eines der Opfer eine enge Vorbeziehung zum Täter Die Täter hinterlassen in aller Regel nicht aktiv Botschaften oder auf die Tat Bezug nehmende Zeugnisse Während einige JMFT Fälle einen längeren Planungs vorlauf zeigen sind in vielen Fällen si tuative Handlungsimpulse dominant und dementsprechend Planung und Vorbereitung kaum erkennbar Der Wahl des Tatortes kommt in der Regel keine symbolische Bedeutung zu son dern sie ist instrumentell motiviert Aufenthaltsort der Opfer Gunst der Tatgelegenheiten Ein bedeutsamer Unterschied zu terroristischen Taten und vielen Amoktaten ist darin er kennbar dass die Täter der hier unter suchten JMFT Fälle sich nicht auf Ideo logien soziale Gruppen geteilte Symbole oder mythische Vorbilder beziehen sondern gewissermaßen als Privatpersonen handeln und der Tat vorausgehende Kränkungen und Miss stände als individuelle Widerfahrnisse kodieren Perspektiven für die Prävention von JMFT Eine spezifische Prävention multi pler Tötungsdelikte außerhalb des Be reichs von Amoktaten und terroristi schen extremistischen Gewaltakten kann für einen in sich derart heteroge nen Kriminalitätsbereich mit zudem sehr seltenen einschlägigen Ereignis sen nicht sinnvoll konzipiert werden Prävention kann sich auf die breiteren Phänomenbereiche richten denen die JMFT Fälle zuzuordnen sind Risiko und Schutzfaktoren welche die Wahr scheinlichkeit gewalttätigen Verhal tens beeinflussen sind im Wesentlichen auch für Tötungsdelikte als die gravie rendste Form von Gewaltdelikten von Bedeutung Diese Faktoren liegen nicht alleine in der Person sondern sind auch im sozialen Umfeld Familie Schule Peergruppe Nachbarschaft Stadtviertel lokalisiert Ganzheitliche Präventionsstrategi en setzen auf diesen unterschiedli chen Ebenen an vgl Douglas Bell 2011 Auf der individuellen Ebene sind Programme zur Förderung von sozia len und emotionalen Kompetenzen

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