42 forum kriminalprävention 2 2016 VERBUNDPROJEKT TARGET und geeignete Präventionsansätze zu treffen lässt sich beispielhaft an dem wissenschaftlichen Diskurs über die beiden Eckpfeiler der forensischen Psychologie der Risikobeurteilung und der forensischen Therapie aufzei gen Es gibt bisher weder in Bezug auf das geeignete Vorgehen bei der Beur teilung des Rückfallrisikos von Straftä tern noch in Bezug auf den Nutzen von Therapieprogrammen einen ein deutigen wissenschaftlichen Konsens Im Bereich der forensischen Risiko beurteilung wurden bis heute über 150 validierte Instrumente entwickelt die das Risiko erneuter Gewalthand lungen ausweisen Singh Serper Rein harth Fazel 2011 Für einzelne dieser Instrumente wurde die Validität an ei ner Datengrundlage von mehr als 45 000 Straftäter aufgezeigt Hanson Morton Bourgon 2009 Wenngleich es ein robuster empirischer Befund ist dass gewisse Instrumente das Rück fallrisiko mit hinreichend zufrieden stellender Trefferquote abbilden können z B Hanson Morton Bour gon 2009 wird in der wissenschaftli chen Gemeinschaft nach wie vor eine heftige Debatte darüber geführt wel che praktische Implikation dieses Er gebnis im Einzelfall hat Der Kern die ser Debatte liegt im methodischen Vorgehen zum einen bei der Entwick lung unterschiedlicher Instrumente bzw Methode der Risikobeurteilung z B hoch strukturiert vs idiogra fisch sowie zum anderen bei der Überprüfung ihrer Validität Auch die forensische Psychothera pieforschung ist von Kontroversen über das geeignete wissenschaftliche Design zur Untersuchung der Wirk samkeit geprägt Wie in vielen Gebie ten der Medizin auch z B Herzchirur gie oder operative Eingriffe am Gehirn ist ein randomisiertes Kontrollgrup pendesign das bekanntermaßen als Goldstandard der Evaluationsfor schung gilt Seto et al 2008 und bei dem Studienteilnehmer zufällig einer Behandlungs und einer Kontrollgrup pe Placebo Gruppe zugeteilt wer den die Ausnahme Und so wird nach wie vor in der fo rensischen Fachwelt darüber disku tiert ob und in welchem Ausmaß Stu dien einem randomisierten Kontrollgruppendesign gerecht wer den müssen um aussagekräftige Schlussfolgerungen zuzulassen oder ob auch andere Versuchsanordnun gen geeignet sind um Therapieeffek te nachzuweisen z B Farrington Welsh 2005 Die Kontroverse lässt au ßer Acht dass in den letzten drei Jahr zehnten die Effizienz von forensi schen Interventionen intensiv empirisch überprüft wurde Es liegen zahlreiche Untersuchungen vor deren Ergebnisse mittlerweile auch in Meta analysen und systematischen Über sichten aggregiert wurden z B Lip sey Cullen 2007 Lösel Schmucker 2005 Diese Studien zeigen deutliche Trends auf z B dass Interventionen bei jungen Straftätern besonders er folgreich sind dass rehabilitativ aus gerichtete Interventionen effektiver das Rückfallrisiko senken als punitive Interventionen und dass gerade bei jungen Straftätern systemische In terventionsansätze besonders vielver sprechend sind Lipsey Cullen 2007 Selbst wenn die an Evaluationsstudien ausgeübte methodische Kritik z B der zu seltene Einsatz von randomi sierten Kontrollgruppenuntersuchun gen ernst genommen wird ist es auf grund der vorliegenden Daten zugleich vernünftig und plausibel da von auszugehen dass die in Über sichtsstudien ausgewiesene allgemei ne Befundlage die grundlegende Richtung von Interventionseffekten widerspiegelt Vor dem Hintergrund dass Taten die von Jugendlichen und Jungerwachsenen begangen worden sind den größten Anteil der verübten Gewalt und Sexualstraftaten ausma chen Cohen Piquero 2009 sind die se Befunde von großer praktischer Re levanz Bei den zahlenmäßig deutlich kleineren Gruppen wie z B die der sa distischen Straftäter bestimmter For men von Intensivtätern oder eben ideologisch motivierter Täter ist die empirische Befundlage allerdings deutlich schlechter Es stellt sich so mit die Frage inwiefern die forensi sche Psychologie evidenzbasierte Empfehlungen für die Prävention von seltenen Spezialfällen als was Mehr fachtötungen oder Attentate im Ar beits und Ausbildungskontext einge stuft werden müssen liefern kann wo sie nicht einmal eindeutige Antworten auf Fragen des forensisch psycholo gischen Alltagsgeschäfts liefern kann Auch wenn die forensische Psycho logie noch keine robusten Befunde über Risikofaktoren von intendierten Mehrfachtötungen liefern kann lässt die wissenschaftliche Literatur und die Erfahrungen aus der klinischen Praxis plausible Hypothesen zu die einer seits für weiterführende Forschung als auch für Entscheidungsträger in In stitutionen oder der Politik hilfreich sein können Die forensisch psychologische Perspektive Der forensisch psychologische Blick winkel ist einer der auf den Einzelfall abzielt Es ist zwar unbestritten dass sehr allgemeine Merkmale wie junges Alter männliches Geschlecht Vorstra fen rein statistisch gesehen robuste Korrelate von fortgesetzter Gewalttä tigkeit sind Quinsey Harris Rice Cor mier 2006 Genauso unbestritten ist aber auch dass die Kriterien weder dem Einzelfall gerecht werden noch geeig net sind um daraus geeignete Inter ventionen oder gar Präventionsstrate gien abzuleiten Sie sind ungeeignet um die Tat zu erklären begreiflich zu machen oder um einen spezifischen Therapieplan zu entwickeln der gezielt auf die Risikofaktoren des Täters abzielt Unerlässlich ist es deshalb bei jeder Ri sikobeurteilung eine am Einzelfall ori entierte Analyse von individuellen Risi ko und Schutzfaktoren sowie eine Bewertung der Relevanz von Kontext faktoren vorzunehmen Grundlage da für bildet die sequenzielle Analyse von drei Phasen des Deliktgeschehens der Tatanlaufphase der eigentlichen Tat handlung und des Nachttatverhaltens Allen drei Analyseschritten gemeinsam ist dass neben der Handlungsebene weitere Ebenen betrachtet bzw re konstruiert werden wie z B die emoti onale Befindlichkeit und kognitive Dis position im Vorfeld der Tat Unter der Tatanlaufphase werden sämtliche Vorbereitungshandlungen des Täters für die Deliktbegehung subsumiert Die Tatanlaufphase kann zeitlich sehr kurz ausfallen und durch unspezifische Merkmale geprägt sein Urbaniok 2016 Beispielsweise kann sich die Tatvorbereitung im Kontext einer Kneipenschlägerei auf das im pulsive Verlassen des Gastraumes das Holen einer Hieb oder Stichwaffe aus dem eigenen Pkw und die bewaffnete Rückkehr in den Gastraum beschrän ken Die Tatanlaufphase kann aber auch zeitlich sehr langanhaltend sein und elaborierte Denk und Verhaltens weisen beinhalten Bei einem schwe ren Raubüberfall oder einer Mehr fachtötung im Arbeits oder Ausbildungskontext können Vorberei tungshandlungen Monate oder gar Jahre andauern Das Ziel der Analyse der Tatanlaufphase besteht darin ein möglichst umfassendes Bild über die Tatmotivation zu erhalten Unter einer forensisch psychologischen Perspek tive wird davon ausgegangen dass die

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