43forum kriminalprävention 2 2016 VERBUNDPROJEKT TARGET Umsetzung der Gewalthandlung für den Täter umso bedeutsamer bzw umso stärker Ausdruck einer persona len Disposition ist je länger die Tatan laufphase andauerte und je zielstrebi ger die Tat ausgeführt wurde Urbaniok 2016 Im Zentrum der Analyse der eigent lichen Tathandlung steht die soge nannte Deliktrekonstruktion In kur zen Zeitsequenzen werden ähnlich einer Zeitlupendarstellung von Se quenzen eines Fußballspiels aus un terschiedlichen Kameraperspektiven die Tatabläufe auf den Ebenen Handlung Kognition und Emotion re konstruiert Urbaniok 2012 Konnte der Täter während der Tat sein Verhal ten kontrollieren oder war das Verhal ten sehr impulsiv Hat der Täter einen emotionalen Gewinn aus der Tathand lung gezogen Steht die Tathandlung im Einklang mit der Persönlichkeit des Täters oder wurde sie von ihm als persönlichkeitsfremd erlebt Wel che Persönlichkeitseigenschaften fin den in der Tathandlung ihren Aus druck Zum Schluss rundet die Analyse des Nachtatverhaltens das Bild ab Merk male wie beispielsweise nicht durch die angewendete Gewalt erschüttert zu sein unbeeindruckt in die Norma lität zurückzufinden koordiniert und überlegt Spuren zu verwischen die zu seiner Identifikation führen könnten sprechen für eine personale Dispositi on des Täters und relativieren den Ein fluss situativer Einflussfaktoren bei der Tatumsetzung Urbaniok 2016 Die Aufarbeitung und Rekonstrukti on der drei Phasen des Deliktgesche hens findet in der Regel auf der Grund lage umfassender Aktenkenntnis und durch eine direkte Exploration des Tä ters statt Im Ergebnis kann sie we sentliche Hinweise zur Identifikation individueller Risiko und Schutzfakto ren hervorbringen und bildet somit die Grundlage für das Verständnis der Deliktdynamik Urbaniok 2016 Die De liktdynamik stellt ihrerseits wiederum die Basis einer ideografischen Fallhy pothese dar d h eines einzelfallspezi fischen Erklärungsmodells vgl Dahle Lehmann 2013 Aufbauend auf der ideografischen Fallhypothese wird schließlich eine ganzheitliche Fallkon zeption erarbeitet die Bedingungen formuliert unter denen ein Rückfall wahrscheinlich oder unwahrschein lich ist und konkrete Ansatzpunkte für Interventionen formuliert case for mulation Hart Logan 2011 Struktu riert wird dieser Prozess durch die Leitlinien des Prozessmodells der so genannten strukturierten professio nellen Urteilsbildung Hart Logan 2011 von Franqué 2013 Aufgrund einzelfallorientierter Fall untersuchung können Deliktdynami ken extrahiert werden die als plausible Arbeitshypothesen für weiterführende Untersuchungen dienen können Au ßerdem erlauben die Ergebnisse der forensisch psychologischen Einzelfall untersuchung die Formulierung erster Empfehlungen für die Prävention von schwerer Gewalt am Arbeitsort und im schulischen Kontexten Beitrag der forensischen Psychologie für die Prävention von Mehrfachtötungen im Ausbildungs und Schulkontext Die wenigen bis heute vorliegen den empirischen Befunde und wissen schaftlich dokumentierten klinischen Erfahrungen zu Mehrfachtötungen im beruflichen oder ausbildungsbezoge nen Umfeld lassen es mehr als fraglich erscheinen dass es robuste allge meingültige Risikofaktoren gibt Dies hat zur Folge dass einfache aus wenigen Fragen bestehende Checklisten oder sogenannte aktuari sche Instrumente wie sie im Bereich der forensischen Psychologie populär sind nicht geeignet sind um Perso nen mit einem hohen Risiko für die Be gehung von Mehrfachtötungen im ge nannten Kontext frühzeitig zu identifizieren Ob das Scheitern der Identifikation von Prädiktoren von Mehrfachtötungen im beruflichen oder schulischen Umfeld das Ergebnis einer inhärenten Heterogenität der Profile oder lediglich ein statistisches Powerproblem darstellt lässt sich noch nicht abschließend klären Studi en die spezifisch die Deliktdynamik von Mehrfachtötungen untersuchen weisen aber eher auf Ersteres hin So gelang es Giebel Rossegger und Endrass 2016 im Rahmen einer ersten vertieften Profilanalyse von intendier ten Mehrfachtötungen an Schulen eindrücklich zu zeigen dass es keinen prototypischen Verlauf von Attenta ten an Schulen gibt Vielmehr zeigte die differenzierte Analyse der Tatan laufphase der Tathandlung selber so wie des Nachtatverhaltens eine große Heterogenität der Fälle auf Einige De likte wurden minutiös über mehrere Monate bis Jahre hinweg vorbereitet während andere Täter nur schlecht vorbereitet waren oder den Tatent schluss relativ kurz vor der Deliktbe gehung fassten Genauso unterschied lich präsentierte sich bei den Fällen von Attentaten an Schulen das Delikt selber Einige Delikte waren mehrpha sig und konnten selbst durch polizeili che Interventionsbemühungen nicht unterbrochen werden Andere Täter ließen sich hingegen relativ leicht durch Dritte von weiteren Taten ab bringen In einigen Fällen war das Tat geschehen kurz in anderen ausge dehnt detailreich und elaboriert Genauso unterschiedlich das Nachtat verhalten Mehrere Täter suizidierten sich im Anschluss an die Tat andere ließen sich widerstandlos festnehmen und wiederum andere richteten ihre Gewalt gegen die eintreffende Polizei Auch bei der Bewertung der einzelnen Persönlichkeitsmerkmale von Attentä tern im schulischen Kontext lassen sich keine eindeutigen Auffälligkeiten feststellen Einige hatten deutlich aus geprägte psychiatrische Auffälligkei ten die schon im Vorfeld erkannt wa ren Andere hatten subdiagnostische Auffälligkeiten und bei einer weiteren Gruppe ließen sich keine relevanten psychiatrischen Merkmale im Vorfeld der Taten erkennen Wenn also vom Einsatz von Check listen abgeraten werden muss welche Präventionsansätze lassen sich aus der Perspektive der forensischen Psy chologie plausibel formulieren Plausible Handlungsansätze und Haltungen 1 Zero tolerance gegenüber Dro hungen in Arbeits und Ausbildungs betrieben Arbeitgeber sollten eine klare und strikte Nulltoleranz Poli tik gegenüber Drohungen führen Bedrohliches oder gewalttätiges Verhalten sollte zu keinem Zeit punkt akzeptiert oder ignoriert wer den können Federal Bureau of In vestigation 2002 Das bedeutet allerdings nicht dass jede Form be drohlichen Verhaltens automatisch in einer Kündigung münden soll Da durch würde man dem Arbeitgeber Handlungsalternativen nehmen die für den Prozess des Bedrohungsma nagements zentral sein können 2 Zentrale Erfassung von red flag Informationen Nicht jede schwere Gewaltanwendung hat Vorgestalten aber wenn es diese gab sind diese für die forensisch psychologische Beurteilung relevant Es ist deshalb wichtig dass Verhaltensauffälligkei

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