7forum kriminalprävention 2 2016 PRÄVENTION UND FREIHEIT Verantwortungszuschreibungen Dort wo im präventiven Denken all gemeine Gefahren in individuelle Risi ken um operiert werden teilt dieses Denken die Problematik vieler Formen der Resilienz Prävention kann als Um verteilung von Verantwortlichkeiten erscheinen bei denen Menschen an ihrem Unglück einfach selbst schuld sind etwa wenn sie abends allein un terwegs waren Zielt Prävention auf ein neoliberales Risikomanagement dann besteht die Gefahr dass durch eine solche Form der Prävention ge nau das aufgelöst wird was eigentlich präventiv wirkt basale gesellschaftli che Solidarität Risiken der Risikoprävention Präventionsmaßnahmen können einfach unwirksam sein Sie können aber auch schädlich sein und die Pro bleme die sie beheben wollen erst hervorrufen Dies kann beispielsweise dann geschehen wenn eine Präventi onsmaßnahme auf der Kategorisie rung von Menschen beruht sodass die Kategorisierung selbst einen Schaden anrichtet den die wohlmeinende Prä ventionsarbeit nicht aufholen kann Im Sicherheitsbereich kann Präven tion Unsicherheiten auslösen etwa dadurch dass Orte durch Überwa chung als gefährliche Orte markiert werden Rechtsunsicherheit und po tenzielle Menschenrechtsverletzun gen entstehen durch datenbasiertes Sortieren von Menschen in Kategorien von unauffällig und möglicherweise gefährlich Es ist die professionelle und ethische Aufgabe der Risikoprä vention ihre eigenen Risiken abzu schätzen und zu vermindern Fairness und Gerechtigkeit Präventives Handeln erfordert Ein schränkungen oder Anstrengungen zugunsten eines zukünftigen Guts oder zur Vermeidung eines zukünfti gen Übels Einschränkungen und An strengungen die von Einzelnen und einer Gesellschaft verlangt werden bedürfen einer Rechtfertigung Fair sind Präventionsmaßnahmen dann wenn diejenigen die eingeschränkt werden auch von den Vorteilen der Prävention profitieren unfair sind sie wenn bestimmte Menschen einge schränkt werden damit andere davon profitieren Gerecht sind Präventions maßnahmen im Sicherheitsbereich dann wenn sie allen die sie benöti gen zur Verfügung stehen und nicht denen die sie sich leisten können Ge recht sind Präventionsmaßnahmen im Sicherheitsbereich dann wenn sie Ein schränkungen von Freiheit und Privat heit bei allen die davon betroffen sind reflektieren und minimieren Und gerecht sind Präventionsmaßnah men im Sicherheitsbereich dann wenn nicht Menschen aufgrund von Gruppenzugehörigkeiten oder ande ren außermoralischen Kriterien in den Fokus des Verdachts geraten Hier ist jede Präventionsarbeit verpflichtet mögliche rassistische Tendenzen schnell zu erkennen und aktiv dage gen Stellung zu beziehen Geschlechtergerechtigkeit Sicherheitsdiskurse sind häufig un sichtbar von Geschlechterdiskursen durchzogen Polizeien und private Si cherheitsdienstleister sind in ihren Kul turen in der Regel männlich geprägt Täter werden als männlich imaginiert Opfer als weiblich und auch wenn dies statistisches Wissen ist ist es noch kein Wissen über die Welt Zugleich erschei nen Frauen nicht nur als Opfer sondern immer wieder als sexualisierte Opfer die von einheimischen Männern vor fremden Männern geschützt werden müssen Damit ist der Schutz von Frau en etwas das Männer unter sich aus handeln während Frauen eine Pflicht zu Vorsicht und Zurückhaltung manch mal auch eine Pflicht zur Angst zuge schrieben wird Gute Präventionsarbeit im Sicherheitskontext nimmt die Pro blematik dieser Diskurse auf entwirrt das komplexe Gemisch aus patriarchali schen sexistischen und fremdenfeind lichen Haltungen und distanziert sich von ihnen Nicht gegen sondern für Präventionsmaßnahmen im Ge sundheitsbereich werden oft in Kriegs oder Kampfmetaphern formu liert Kampf gegen Übergewicht das Rauchen oder ungesundes Essverhal ten Diese Kriegs oder Kampfmeta phern finden sich wenig überraschend auch bei der präventiven Herstellung von Sicherheit Der Kampf gegen Ju gendkriminalität wird möglicherwei se nicht zu gewinnen sein Dafür aber das Engagement für etwas für ein gu tes und erfülltes Leben dieser Jugend lichen Ein solcher Perspektivwechsel zeigt auch dass die Herstellung von Sicherheit immer mit einer Sicherung von Rechtssicherheit verbunden blei ben muss Sonst besteht die Gefahr dass das Gemeinwesen das wir durch Sicherheitsmaßnahmen herstellen am Ende nicht mehr das Gemeinwesen ist das es ursprünglich zu sichern galt Niklas Luhmanns Regenschirm Analogie ist nach wie vor aktuell Wenn es Regenschirme gibt kann man nicht mehr risikofrei le ben Die Gefahr daß man durch Re gen naß wird wird zum Risiko das man eingeht wenn man den Re genschirm nicht mitnimmt Auch wenn hier Menschen Entscheidun gen und Handlungen aufgebürdet werden Es ist gut dass es Regen schirme gibt Und es ist gut dass Menschen und Institutionen sich engagieren um ein gutes Maß an Si cherheit herzustellen Aber im Risi ko sieht Luhmann noch ein weite res Regenschirm Risiko Aber wenn man ihn mitnimmt läuft man das Risiko ihn irgendwo liegenzu lassen Luhmann 1993 328 Am Ende hilft nur eines Die Gelas senheit die aus dem Wissen rührt dass Sicherheit nie vollständig sein kann und nie absolut sein darf Diese Gelassen heit geht einher mit einer moralischen Achtsamkeit darauf dass nie einzelne Grundgüter und Grundwerte vollstän dig zugunsten anderer untergehen dürfen und dass gesellschaftliches und individuelles Handeln einer Logik der Angemessenheit folgt Weder eine To talisierung von Sicherheit noch eine Normalisierung durch Sicherheit ent spricht einer solchen Logik der Ange messenheit Der Streit um Werte in einer Gesellschaft muss damit in prä ventives Sicherheitshandeln hineinge holt werden Nur dann haben Problem lösungen seien es technische politische ökonomische soziale oder andere Lösungen die Chance nicht mittel oder langfristig das zu beschä digen was sie eigentlich schützen wol len Menschen in ihrer Verletzlichkeit Das Gutachten ist auf der Web site des Deutschen Präventionstages abrufbar http www praeven tions tag de nano cms kongressgutachten und wird im Kongresskatalog abge druckt Prof Dr Regina Ammicht Quinn leitet den Arbeitsbereich Ethik und Kultur mit dem Forschungsschwerpunkt Sicher heitsethik an der Eberhard Karls Universität Tübingen und ist Sprecherin des Internationalen Zentrums für Ethik in den Wissenschaften IZEW Kontakt regina ammicht quinn uni tuebingen de

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