22 forum kriminalprävention 4 2016 EVALUATION informellen Lernarrangements sowie des professionellen pädagogischen Selbstverständnisses von in der Unter suchungshaft tätigen Lehrkräften identifizieren Als ein zentrales Ergebnis zeigt sich die von den Jugendlichen als notwen dig betrachtete Reziprozität von Res pekt in ihren Relationen zu anderen die in sozialen Beziehungen sensibel von ihnen immer wieder hinterfragt wird Diese Reziprozität wird sowohl in den Beziehungen der inhaftierten Jugendlichen untereinander gefor dert als auch in ihren Relationen zu Beamten innen Lehrern innen und Studierenden Die Herstellung von Re ziprozität ist dabei unhintergehbare Voraussetzung für jegliche positive pädagogische Beziehung zu den In haftierten In den studentischen Projekten ge lingt es den Studierenden ein res pektvolles reziprokes Verhältnis zu den Jugendlichen aufzubauen Damit werden non formale und informelle Bildungsprozesse bei den Jugendli chen ermöglicht sodass diese auf Ba sis der erfahrenen Gleichberechtigung für Themen und praktische Tätigkei ten begeistert werden können Diese erfahrene Reziprozität ist für die Ju gendlichen nicht nur Maßstab für die Freizeitangebote sondern auch für ein Einlassen auf den Unterricht in der Untersuchungshaft Aus Sicht der in haftierten Jugendlichen scheint ein solcher Beziehungsaufbau seitens der Lehrkräfte jedoch nicht zu gelingen Im Vergleich der Studierenden mit den Lehrkräften des Schulunterrichts dokumentiert sich dass die Studieren den trotz ihres Status als Lernende bzw sich in Ausbildung Befindende als professionell Agierende von den Jugendlichen wahrgenommen wer den Professionalität begründen sie mit einem respektvollen wertschät zenden Umgang auf Augenhöhe der Authentizität und Gelassenheit der Studierenden gegenüber ihnen als Zielgruppe und ihren altersentspre chenden Verhaltensweisen sowie ge leisteten Hilfestellungen während der konkreten Tätigkeiten innerhalb der Projekte Auf Überordnungsversuche reagieren die Jugendlichen dagegen sehr sensibel wie die Analysen ge zeigt haben Eine Konsequenz dessen ist dass sie sich durch passiven Wider stand zum Beispiel Nichtteilnahme am Unterricht oder Ignoranz den Lernerfahrungen verwehren Damit wird deutlich wie zentral die Beziehung zwischen den Lehrkräften und den Ju gendlichen als Voraussetzung für Ler nen in der Untersuchungshaft ist Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Evaluation des Projektes Bildung im Strafvollzug in der Schweiz Rich ter et al 2011 S 56 ff Zum Erfolg der in dieser Studie untersuchten forma len Bildungsangebote trug bei dass die Lehrkräfte die Inhaftierten in ihrer Individualität respektiert und damit als Mensch anerkannt haben sowie ein Vertrauensverhältnis zu den Inhaftier ten herstellen konnten Vorausset zung dafür ist dass Lehrkräfte eher Distanz zur Logik einer totalen Insti tution vgl Goffman 1972 d h zu Re gulierungs und Sanktionspraxen der JVA wahren um ihre professionelle Ei genständigkeit zu behaupten Dies ist auch dann möglich wenn auch her ausfordernd wenn Lehrkräfte und Sozialpädagogen innen in der JVA hauptamtlich tätig und somit Mitglied einer totalen Institution sind vgl u a Kessl 2016 Kessl Koch 2014 Wesentliches Element für das Gelin gen ist es zudem die Angebote an die Lebenswelt der Jugendlichen anzu schließen bzw sie als Adressaten der Angebote an der Entscheidung über die Lerninhalte zu beteiligen Im Ver gleich von studentischen Projekten und Schule ließ sich feststellen dass die Jugendlichen nur dann aktiv teil nehmen wenn sie an den Angeboten anschließen können oder ihre Neugier geweckt wird Während dies den stu dentischen Projekten gelingt konn ten die Jugendlichen dagegen über wiegend an das Unterrichtsangebot der Untersuchungshaft der JVA Weg stadt nicht anknüpfen Auch in der Evaluation von Freizeitprojekten im Jugendstrafvollzug durch Pöge und Hertel 2015 bestätigt sich dass gera de in den Projekten die den Interes sen der Inhaftierten vor Haftantritt entsprechen Lernprozesse angeregt werden können In der Evaluation des Projektes Bildung im Strafvollzug wurde deutlich dass der Unterricht vor allem Interesse weckte wenn ein Bezug zur Außenwelt hergestellt wur de indem die Lehrkräfte Bildungsma terialien von außen mitbrachten eine Auseinandersetzung mit aktuellen ge sellschaftlichen Themen förderten und praktisches anwendbares Wissen vermittelten Richter et al 2011 S 56 Voraussetzung dafür war jedoch auch dass die Lehrkräfte selbst als Vertre ter innen der Außenwelt wahrge nommen wurden ebd S 57 Aus den vorliegenden Ergebnissen lässt sich somit schlussfolgern dass Bildung in der JVA grundlegend nur auf Basis von Reziprozität zwischen Jugendlichen und Lehrkräften gelin gen kann und des Weiteren die Ange bote einen Bezug zur Lebenswelt der Jugendlichen herstellen sollten Bil dungsangebote müssen damit so Be han 2003 S 1 eine Gegenkultur zu einer Kultur des Gefängnisses die sich vorwiegend auf Kontrolle Disziplinie rung und Sanktionen fokussiert stüt zen Das schließt jedoch nicht aus dass auch die JVA gelingende Hand lungspraxen aus den Bildungsangebo ten in ihre Organisationskultur über nimmt ebd S 4 und somit in ihren Routinen und Abläufen ebenfalls Lern gelegenheiten schafft beispielsweise in der gemeinsamen Aushandlung von Regeln und Sanktionen Stefanie Kessler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Bildungssoziologie in der Sozialen Arbeit Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften am Campus Suderburg Prof Dr Anja Mensching ist Professorin für Bildungssoziologie in der Sozialen Arbeit an der Ostfalia Hoch schule für angewandte Wissenschaften am Campus Suderburg Kontakt st kessler ostfalia de a mensching ostfalia de Literatur Behan C 2003 Does Prison Education Benefit the Needs of the Inmates Prison education An oxymo ron 9th EPEA International Conference on Prison Education Langesund Norway July 14 18 http ibra rian net navon paper Papers from the 9th EPEA International Conference pdf paperid 3745863 Zuge griffen 11 10 2016 Bohnsack R 2014 Rekonstruktive Sozialforschung 9 Aufl Opladen Barbara Budrich Bohnsack R 2010 Qualitative Evaluationsforschung und dokumentarische Methode In R Bohnsack I Nentwig Gesemann Hrsg Dokumentarische Evalua tionsforschung Theoretische Grundlagen und Bei spiele aus der Praxis S 23 62 Opladen Barbara Bud rich Borchert J 2015 Studentisches Lernen im Strafvoll zug In M Schweder Hrsg Handbuch Jugendstraf vollzug S 789 794 Weinheim Basel Beltz Juventa Eichbauer M 2011 Rap ist mein Leben Biografie arbeit mit Jungtätern Bericht eines studentischen Projektes In C Hölzle I Jansen Hrsg Ressourcen orientierte Biografiearbeit Grundlagen Zielgruppen Kreative Methoden 2 Aufl S 189 196 Wiesbaden VS Verlag Enzmann D Greve W 2001 Strafhaft für Jugendli che Soziale und individuelle Bedingungen von Delin quenz und Sanktionierung In M Bereswill W Greve Hrsg Forschungsthema Strafvollzug S 109 145 Baden Baden Nomos Flick U 2006 Qualitative Evaluationsforschung zwi schen Methodik und Pragmatik Einleitung und Über blick In ders Hrsg Qualitative Evaluationsforschung S 9 29 Reinbeck bei Hamburg Rowohlt Goffman E 1972 Asyle Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen Frankfurt M Suhrkamp Grebsch C 2015 Rechtsberatung für Gefangene im Jugendvollzug Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe 26 363 368 Grunert C 2006 Bildung und Lernen ein Thema der Kindheits und Jugendforschung In T Rauschenbach W Düx E Sass Hrsg Informelles Lernen im Jugend alter Vernachlässigte Dimensionen der Bildungsde batte S 15 34 Weinheim Beltz Juventa Hintz S 2004 Untersuchungshaft und Erziehung Herbolzheim Centaurus Verlag Hoffmann B 2011 Fotografische Bilder als Medium in der Biografiearbeit Dargestellt an einem Projekt im weiblichen Jugend Strafvollzug In C Hölzle I Jansen Hrsg Ressourcenorientierte Biografiearbeit Grund
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