11 forum kriminalprävention 1 2017 EXTREMISMUS UND PRÄVENTION Erfassung bisheriger Erfahrungs werte der Vollzugspraxis Aufgrund der skizzierten Literatur erscheint eine konkrete Betrachtung der Situation in den Strafvollzugsan stalten in Deutschland von großem Interesse Es wurde deshalb eine schriftliche Befragung aller Jugend strafvollzugsanstalten in Deutschland durchgeführt um zu ermitteln wie eine Auseinandersetzung mit dem Thema Extremismus und Radikalisie rung dort bisher erfolgte und wie möglichen Gefahren in der Praxis be gegnet wird Damit fand eine Erhe bung des Ist Zustandes zum Umgang mit bereits politisch oder religiös ra dikalisierten Gefangenen sowie zu den Maßnahmen zur Verhinderung weite rer Radikalisierung statt Eine Be schränkung auf Vollzugsanstalten deren Zuständigkeitsbereich auch ju gendliche und heranwachsende Inhaf tierte umfasst erfolgte aus den fol genden Gründen Zum einen ist die Gefahr bei Menschen in der Adoles zenz die entwicklungspsychologisch die zentrale Phase der Identitätsent wicklung darstellt und deshalb als be sonders vulnerabel anzusehen ist größer sich extremistischem Gedan kengut gegenüber zu öffnen Zum an deren ist hier mit einem größeren An gebot an Behandlungsmaßnahmen zu rechnen da nach 2 JGG die Vermei dung weiterer Straftaten durch eine Orientierung am Erziehungsgedanken im Mittelpunkt steht Um herauszufinden auf welche Weise eine Auseinandersetzung mit dem Thema Extremismus in den Ju gendstrafvollzugsanstalten erfolgt und welche Vorkehrungen diesbezüg lich getroffen werden wurde zu nächst gefragt wie häufig und aus welchen Gründen die Anstalten bisher in Kontakt mit diesen Themen kamen Ergänzend wurde ermittelt ob und wie eine Definition der entsprechen den Begrifflichkeiten in den Justizvoll zugsanstalten stattfanden und damit einhergehend wie konkret die Identi fizierung von als gefährdet oder ge fährlich eingestuften Personen er folgt Auch sollte angegeben werden ob bei Radikalisierungsprozessen bei spielsweise zwischen einer bloßen Provokation einem primär auf Ableh nung des Systems basierendem Inter esse und einer tatsächlichen Internali sierung der radikalen Werte unterschieden wird Das Bestehen von einheitlichen Meldepflichten wurde ebenfalls ermittelt In der Befragung wurde des Weiteren ein Fokus auf an staltsinterne Vorgänge und Umgangs weisen im Hinblick auf Extremismus und Radikalisierung im Haftalltag ge legt Dazu gehörte auch eine Erfas sung von Angeboten und Maßnahmen zur Prävention und Deradikalisierung Abschließend erfolgte eine Erhebung der Fortbildungs und Schulungssitu ation für das Personal das sich schwerpunktmäßig mit diesen The men im Haftalltag beschäftigt Der Begriff Radikalisierung bezog sich bei der Befragung sowohl auf ex treme politische als auch auf extreme religiöse Einstellungen Die bisheri gen als vorläufig anzusehenden Aus wertungen zeigten dass in den be fragten Justizanstalten vermutlich beeinflusst durch die aktuellen gesell schaftspolitischen und medialen Diskurse religiös assoziierte Radikali sierungsprozesse klar im Vordergrund standen Insgesamt ermöglichte der bisherige Rücklauf von etwa 90 ei nen umfassenden Überblick über die Situation im deutschen Jugendstraf vollzug Die ersten Analysen verdeutli chen dass die überwiegende Mehr heitderBefragtenbereitsErfahrungen mit der Thematik sammelte sodass in jedem Fall von einem hoch relevanten Thema für den deutschen Justizvoll zug ausgegangen werden muss Ver gleichsweise heterogen erwies sich die bisherige Auswertung der Antwor ten auf die Frage wie konkret Gefähr dungs und Gefährlichkeitspotenziale erfasst werden In diesem Zusammen hang wurde ein Schulungsbedarf von nahezu allen Anstalten erkannt und zum Großteil bereits anhand konkre ter Fortbildungsmaßnahmen umge setzt Vorläufiges Fazit Die bisherige Projektlaufzeit ver deutlichte eindrücklich dass das The ma De Radikalisierung Extremismus und die Prävention extremistisch mo tivierter Gewalt zentrale Aufgaben des Justizvollzugs darstellen Soweit aus heutiger Sicht eine Prognose gewagt werden kann ist davon auszugehen dass diese Themen den Justizvollzug noch länger beschäftigen werden Aufgrund der Ereignisse und Entwick lungen der letzten Monate liegt der zeit nachvollziehbarerweise ein Schwerpunkt auf religiös assoziierten Radikalisierungsprozessen Es sollte an dieser Stelle allerdings nicht ver nachlässigt werden dass die jüngere Geschichte des politisch motivierten Extremismus in Deutschland und die daraus hervorgehenden terroristi schen Gewalttaten auch den Bereich Justizvollzug betrafen und betreffen So zeigen kriminologische Analysen dass rechtsextreme Gewalttäter häu fig mit klassischen dissozialen Karri eren ausgestattet ein gut und lange bekanntes Problem des Justizvollzugs darstellen 9 Die bisherigen Analysen legen nahe dass die zentralen Aufgabenbereiche für die Zukunft die Entwicklung eines möglichst allgemeingültigen transpa renten und wissenschaftlich abgesi cherten Modells oder Systems zur Identifizierung von als gefährdet und gefährlich eingestuften Personen 10 sowie die Entwicklung und Evaluation von Maßnahmen zur Prävention und Deradikalisierung sein werden Bei der Feststellung von potenziellen Risiken kann ein Blick ins angloamerikanische Ausland gegebenenfalls Hinweise bie ten darüber hinaus ist ein Blick in die Prognose und Risikoforschung bei anderen Gruppen von Strafgefange nen hilfreich Berücksichtigt werden muss dabei dass der Blick nicht nur auf den Bereich der Fremdgefährdung gerichtet ist sondern auch die Ab schätzung suizidaler Tendenzen bei dieser Inhaftiertengruppe eine größe re Relevanz besitzt als bei anderen Gruppen von Strafgefangenen Ein großer Forschungs und Praxisbedarf liegt offensichtlich in der Entwicklung und Evaluation von Programmen und Interventionsmaßnahmen die sekun där oder tertiärpräventiv eingesetzt werden können Darüber hinaus stellen sich ganz praktische Fragen des Vollzugsalltags z B Umgang mit sprachlichen Barrie ren und kulturellen Unterschieden Fragen der gemeinsamen oder ge trennten Unterbringung etc die ei ner weiteren und intensiven Beschäf tigung bedürfen Zwar begegnet der Justizvollzug diesen Fragen bereits mit Schulungsmaßnahmen dabei scheinen allerdings bislang häufig Fra gen der Sicherheit und der Identifizie rung von möglichen Hinweisreizen zu dominieren die auf eine bestimmte religiöse oder politische Ideologie hin deuten könnten Ein Einbezug der üb rigen angesprochenen Aspekte wäre ebenso empfehlenswert wie ein wei 9 Marneros Steil Galvao Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 2003 364 ff 10 Rettenberger Kriminalistik 2016 401 ff

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