20 forum kriminalprävention 1 2017 EXTREMISMUSPRÄVENTION Konzeptioneller Ansatz und theoretischer Hintergrund Das multimedial und interaktiv ge staltete Training untergliedert sich in die vier Module Straftaten und Gewalt Identität Umfeld sowie Hass und Vor urteile Jedes Modul besteht aus ver schiedenen Übungen die die Teilneh merinnen und Teilnehmer ähnlich modernen E Learning Kursen eigen ständig bearbeiten Übungsübergrei fend setzt das Modellprojekt auf fol gende Handlungsansätze Hemmschwellen erhöhen Irritationen hervorrufen Reflexionsprozesse anstoßen Ressourcen entdecken Handlungsstrategien erarbeiten Ausgehend von einem Verständnis von Radikalisierung als sozialer Pro zess der zu einer extremen Polarisie rung von Gefühlen Überzeugungen und Verhaltensweisen führt die mit der gesellschaftlichen Norm inkonsis tent ist sowie zu Extremismus und letztendlich zu Gewalt führt Zick Böckler 2015 7 muss auch Deradikali sierung als Prozess gedacht werden Pädagogische Interventionen haben dabei nicht ausschließlich zum Ziel Orientierungen und Verhalten der Teil nehmerinnen und Teilnehmer zu be einflussen oder zu verändern son dern zielen auf einen persönlichen Entwicklungsprozess der es den jun gen Menschen ermöglicht sich selbst und die Welt um sie herum anders zu sehen und mit Herausforderungen anders umzugehen Mit diesem Pro zess ist eine Distanzierung von den bisher die Lebenswelt bestimmenden rechtsextremen Szenezusammenhän gen verbunden Ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Entwicklung des virtuellen Trai ningsprogramms sind die langjährigen praktischen Erfahrungen von Drudel 11 mit vorurteilsreduzierenden Aggressi onsschwellentrainings Die seit 2004 im Thüringer Jugendarrest angebotenen Kurse arbeiten nach der von Sebastian Jende 2000 entwickeltenMethode der Gruppendynamischen Aggressions schwellentrainings GAT Eine Beson derheit des Trainingsprogramms ist dass sowohl die Gewaltproblematik der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bear beitet wird als auch die zugrunde liegenden Einstellungsmuster vgl Speer Menger Jende 2012 Die inhaltliche und methodische Herangehensweise der Aggressions schwellentrainings muss für ein web basiertes Angebot entsprechend transformiert werden Neben dieser speziellen dem Ziel des Trainings ge schuldeten Herausforderung gilt es grundsätzlich eine digitale Lernumge bung zu schaffen die Interaktion und Kommunikation ermöglicht Denn je mehr eine digitale Lernumgebung ein lebendiges Geschehen darstellt desto größer sind die Möglichkeiten des In volviertseins der sozialen Perspektiv übernahme und des sozialen Lernens vgl Jörissen 2010 122 f Die Teilnehmerinnen und Teilneh mer bei der eigenständigen Bearbei tung der Übungen pädagogisch zu be gleiten ist fester Bestandteil des Vorgehens Dabei geht es nicht allein darum durch eine persönliche An sprache Abbrüche zu verhindern Viel mehr soll den Jugendlichen ermög licht werden in der virtuellen Welt über asynchrone Textnachrichten Schritt für Schritt eine Beziehung zu einer echten Person aufzubauen Die ser Anspruch mag ambitioniert er scheinen wird aber inzwischen von neueren Forschungsergebnissen aus dem psychotherapeutischen Bereich und der psychosozialen Beratung ge stützt siehe dazu u a Gahleitner Preschl 2016 Virtuelle Erfahrungen können insbesondere dann realitäts wirksam werden wenn entsprechen de Szenarien wirklichkeitsnah gestal tet sind vgl Jäncke 2005 93 und wenn sie in einer professionellen Be ziehung thematisiert werden vgl Turkle 2012 376 Erste Erfahrungen und Ausblick Ab Jahresmitte 2016 konnten die ersten Übungen des Trainings prak tisch getestet werden Allein im ver gangenen Jahr haben mehr als 50 Teil nehmerinnen und Teilnehmer während der Verbüßung ihres Jugend arrestesinderThüringerJugendarrest anstalt in Arnstadt insgesamt mehr als 100 Pretests durchlaufen Durch for mative Evaluationsmaßnahmen mit unterschiedlichen Methoden der qua litativen Sozialforschung konnten die Übungen weiter optimiert werden Der gesamte Entwicklungsprozess des webbasierten Trainings erfolgt auf diese bewährte Weise in Kooperation mit der Bauhaus Universität Weimar Professur für Instructional Design Di daktik medialer Lernumgebungen 1 Für 2017 ist der Übergang in die Erprobungsphase geplant Virtuelle Übungen sollen dann auch unter realen Bedingungen in bestehenden pädagogischen Settings eingesetzt werden zum Beispiel in den Beglei tungsprozessen der Ausstiegsbera tung durch den Thüringer Beratungs dienst Ausstieg aus Rechtsex tremismus und Gewalt Bis zum Ende der Projektlaufzeit in 2019 soll so ein vollständiges webbasiertes Training entstehen das junge Menschen zum Ausstieg aus der rechtsextremen Sze ne anregt und sie dabei unterstützt erste Schritte in ein Leben ohne Hass und Gewalt zu gehen Daniel Speer ist Projektleiter des Modellprojekts OHAOnline Hass Abbauen bei Drudel 11 e V in Jena Anne Maria Günther ist pädagogische Mitarbeiterin bei OHA Online Hass Abbauen Constantin Oestreich ist Mediengestalter bei OHAOnline Hass Abbauen Kontakt oha drudel11 de 1 Wir danken Jun Prof Dr Steffi Zander und M A Anne Behrens sehr herzlich für die hervorragende Zusammen arbeit Literatur BIKnetz Hrsg 2014 Möller K Schuhmacher N Sozi ale und pädagogische Arbeit mit rechtsextrem affinen Jugendlichen Akteure Projekte Ansätze und Hand lungsfelder Berlin Gahleitner S Preschl B 2016 Professionelle Bezie hungsgestaltung über das Internet Geht denn das überhaupt Überlegungen zu einem methodenüber greifenden Wirkfaktor In Resonanzen E Journal für biopsychosoziale Dialoge in Psychotherapie Supervisi on und Beratung 2 S 108 129 Zugriff am 15 11 2016 Verfügbar unter http www resonanzen journal org Harring M 2011 Das Potenzial der Freizeit Soziales kulturelles und ökonomisches Kapital im Kontext hete rogener Freizeitwelten Jugendlicher Wiesbaden VS Verlag Jäncke L 2005 E Learning aus der Sicht der Neuro psychologie S 83 114 In Miller D Hrsg E Learning Eine multiperspektivische Standortbestimmung Bern Stuttgart Wien Haupt Verlag Jende S 2000 Das Gruppendynamische Aggressions schwellentraining eine Methode zur Erhöhung der Hemmschwelle bei jugendlichen Gewaltstraftätern Jena Jörissen B 2010 Strukturale Ethnografie Virtueller Welten S 119 143 In Grell P Marotzki W Schelhowe H Hrsg Neue digitale Kultur und Bildungsräume Wiesbaden VS Verlag Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest mpfs 2016 JIM STUDIE 2016 Jugend Information Multi Media Basisuntersuchung zum Medienum gang 12 bis 19 Jähriger Abgerufen am 27 1 2017 über https www mpfs de fileadmin files Studien JIM 2016 JIM Studie 2016 pdf Möller K Schuhmacher N 2007 Rechte Glatzen Rechtsextreme Orientierungs und Szenezusammen hänge Einstiegs Verbleibs und Ausstiegsprozesse von Skinheads Wiesbaden VS Verlag Pfeiffer T 2013 Menschenverachtung mit Unterhal tungswert Musik Symbolik Internet der Rechtsex tremismus als Erlebniswelt S 44 64 In Glaser S Pfeiffer T Hrsg Erlebniswelt Rechtsextremismus Menschenverachtung mit Unterhaltungswert Hinter gründe Methoden Praxis der Prävention 3 Auflage Schwalbach Wochenschau Verlag Speer D Menger L Jende 2012 Nicht warten bis zum Knast Aggressionsschwellentrainings mit rechts extremen Gewalttätern im Jugendarrest In unsere jugend 6 S 242 253 Turkle S 2012 Verloren unter 100 Freunden Wie wir in der digitalen Welt seelisch verkümmern München Riemann Verlag Zick A Böckler N 2015 Radikalisierung als Inszenie rung Vorschlag für eine Sicht auf den Prozess der ex tremistischen Radikalisierung und die Prävention In forum kriminalprävention 3 S 6 16
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