40 forum kriminalprävention 1 2017 JUGENDKRIMINALITÄT Die Frage nach dem Einfluss des Wohnumfeldes auf kriminelles Verhal ten hat in den vergangenen Jahrzehn ten in der Kriminologie zunehmend Aufmerksamkeit erhalten Im Fokus stand dabei vor allem die Frage wel chen Einfluss der Wohnortstadtteil auf das Risiko kriminellen Verhaltens hat Ob Eigenschaften von Stadtteilen in bundesdeutschen Städten das krimi nelle Verhalten der in ihnen wohnen den Jugendlichen beeinflussen ließe sich mit Blick auf die Medienberichter stattung vermutlich zunächst mit ei nem klaren Ja beantworten z B Die Welt vom 19 8 2015 Duisburg Marx loh Der albtraumhafte Abstieg eines deutschen Stadtteils Focus vom 12 4 2016 Marode Häuser und hohe Kriminalität Akute Ghetto Gefahr Das sind Deutschlands schlimmste Problemviertel Es wird von Pro blemvierteln sozialen Brennpunkten oder abgehängten Stadtteilen gespro chen und dabei nicht selten auch ein Bezug zur Kriminalität hergestellt Die Annahme ist dass die in diesem Zu sammenhang häufig thematisierte ethnische und soziale Segregation d h die Konzentration bestimmter Be völkerungsgruppen in einem Stadt viertel die Persönlichkeitsentwick lung von Kindern und Jugendlichen gefährdet Nicht zentral aber auch nicht egal Die Bedeutung des Wohnumfeldes für kriminelles Verhalten von Jugendlichen Dirk Baier Susann Prätor Im Rahmen des vorliegenden Beitrages werden mit einem Schwerpunkt auf Studien des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen nationale Forschungsbefunde zusammengefasst die sich mit der Frage der Bedeutung des Wohnumfeldes insbesondere des Stadtteils für das Ausmaß der Jugend kriminalität befasst haben Diese ergeben dass Stadtteile im Verursachungs prozess kriminellen Verhaltens von Jugendlichen insgesamt eine eher geringe Rolle spielen Strukturelle Merkmale von Stadtteilen wie die Arbeitslosenquo te sind dabei für die Erklärung von Jugendkriminalität weniger bedeutsam als beispielsweise die in den Stadtteilen gelebte Kultur in Form von Konflikten und positiven Verhaltensvorbildern Die unmittelbare Wohnumgebung wirkt sich zudem eher indirekt auf Jugendkriminalität aus indem verschiedene Sozialisationsbedingungen beeinflusst werden die wiederum mit kriminellem Verhalten von Jugendlichen im Zusammenhang stehen Theoretische Erklärungsansätze Diese Annahmen werden auch in kriminologischen Theorien formuliert wobei insbesondere zwei theoreti sche Ansätze zu erwähnen sind An fang des 20 Jahrhunderts wurde die Theorie der sozialen Desorganisation entwickelt Shaw und McKay 1969 1942 Basierend auf einer Dokumen tation der Wohnorte von männlichen jugendlichen Kriminellen sowie ande rer Merkmale von Stadtgebieten z B Zu und Fortzüge Armutsquote Mi grantenanteil stellten sie mit zuneh mender Entfernung vom Stadtkern eine Abnahme der registrierten Ju gendkriminalität sowie eine Verbesse rung der Lebensbedingungen fest Shaw und McKay formulierten die An nahme dass Stadtgebiete mit hoher Kriminalitätsrate im Unterschied zu solchen mit niedriger Rate durch eine größere Normenvielfalt gekennzeich net sind d h dass in diesen Gebieten nicht nur konforme sondern auch ab weichende Einstellungen und Verhal tensweisen befürwortet werden Die strukturell durch eine hohe Arbeitslo sigkeit hohe Armut hohe Bewohner fluktuation und hohe ethnische Hete rogenität gekennzeichneten Gebiete werden aufgrund der bestehenden Normen und Werteheterogenität auch als sozial desorganisiert bezeich net Die Heterogenität führt dazu dass zwischen den Menschen keine starken Bindungen bestehen Das In teresse am anderen fällt gering aus ebenso wie die Bereitschaft interve nierend einzugreifen wenn es zu de linquentem Verhalten kommt Der theoretische Ansatz der kollek tiven Wirksamkeit Sampson Rauden bush Earls 1997 erweitert die Desor ganisationstheorie und fokussiert explizit die sozial kulturelle Situation vor Ort Es wird davon ausgegangen dass Kriminalität dort effektiv unter bunden wird wo die soziale Kohäsion und die informelle Sozialkontrolle hoch sind Die soziale Kohäsion be zieht sich auf das Ausmaß des Zusam menhalts unter den Bewohnern eines Stadtteils Informelle Sozialkontrolle meint die Bereitschaft der Bewoh ner eines Stadtteils im Falle von Anzeichen sozialer Unordnung her umhängende Jugendliche Sachbe schädigungen kontrollierend und sanktionierend einzuschreiten In dem Maße in dem Bewohner eines Stadt teils achtsam für Anzeichen sozialer Unordnung sind und gegen diese vor gehen verringert sich das Auftreten delinquenten Verhaltens in einem Ge biet Empirisch lässt sich die soziale Kohäsion durch Einschätzungen der Nachbarschaft z B Vertrauen Ver bundenheit der Nachbarschaft erfas sen die informelle Sozialkontrolle durch die Einschätzung ob Bewohner im Stadtteil bei bestimmten Ereignis sen z B lärmende Jugendliche ein greifen würden Beide Dimensionen sind eng miteinander verbunden und lassen sich zur kollektiven Wirksam keit zusammenfassen Die Studie von Sampson et al 1997 konnte belegen dass Desorganisation im Sinne einer problematischen Sozialstruktur eines Stadtteils mit geringerer Kohäsion und Interventionsbereitschaft einher geht und beides wiederum zu mehr Kriminalität in einem Stadtteil führt

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