42 forum kriminalprävention 1 2017 JUGENDKRIMINALITÄT 2007 kann anhand der Forschungsbe funde gefolgert werden dass weder die strukturellen Stadtteilfaktoren noch die Stadtteilfaktoren insgesamt von primärer Bedeutung für Jugend delinquenz sind Vielmehr sind es Fak toren auf der Ebene der Familie der Schule und der Gleichaltrigen die ei nen Beitrag zur Erklärung kriminellen bzw speziell gewalttätigen Verhaltens leisten Prävention sollte insofern zwar auch das räumliche Umfeld im Blick haben eine Fokussierung auf Maßnahmen im nahen sozialen Umfeld ist aber wichtiger Eine herausgehobene Bedeutung kommt der Gruppe der Gleichaltrigen zu an denen sich Jugendliche beson ders stark orientieren vgl Baier Ra bold Pfeiffer 2010 Nicht verwun dern kann daher dass Kontakte zu delinquenten Freunden das Risiko deutlich erhöhen selbst delinquent zu werden Neben den delinquenten Freunden gibt es eine recht große An zahl weiterer Einflussfaktoren des de linquenten Verhaltens Baier et al 2009a haben in ihrer Analyse der Ge walttäterschaft insgesamt 15 Faktoren berücksichtigt von denen nur ein Fak tor keinen signifikanten Zusammen hang aufwies armutsnahe Lebensla ge Die nach den delinquenten Freunden nächstwichtigen risikoer höhenden Faktoren sind eigene Ge waltopfererfahrungen hier auch das Erleben elterlicher Gewalt eine nied rige Selbstkontrolle ein männliches Geschlecht und das Schulschwänzen Zusätzlich sind bestimmte Freizeit verhaltensweisen wie der Alkoholkon sum der Gewaltmedienkonsum und das Aufsuchen von Orten wie Kneipen Discos usw als problematisch einzu stufen Erwähnenswert ist zuletzt dass das schulische Umfeld bedeut sam für das delinquente Verhalten ist So belegen Analysen immer wieder dass sich Schüler niedrigerer Schulfor men Förder und Hauptschulen sig nifikant häufiger delinquent verhalten als Schüler höherer Schulformen Bai er Pfeiffer 2007 Die Schule ist aber auch anderweitig relevant für das de linquente Verhalten Analysen von Bai er und Pfeiffer 2011b belegen dass in Schulen in denen eine sog Kultur des Hinschauens ähnlich der bereits be schriebenen informellen Sozialkont rolle auf Stadtteilebene praktiziert wird Jugendliche seltener zu Gewalt greifen Eine solche Kultur wird maß geblich durch Lehrkräfte geprägt die die Einhaltung von Verhaltensregeln überwachen bzw Fehlverhalten sank tionieren Wenn die bisherigen Befunde be stätigen dass Eigenschaften des Wohnumfelds für das delinquente Verhalten von Jugendlichen weit we niger relevant sind als andere Fakto ren dann ist ein Punkt zu beachten Bislang war es in Deutschland meist nur möglich amtliche Stadtteile in den Studien abzubilden Die Stadtteile sind aber z T recht groß Es ist un wahrscheinlich dass vor allem die grö ßeren Stadtteile in sich homogen sind dass also z B die kollektive Wirksam keit einer Nachbarschaft dem Niveau in einer anderen Nachbarschaft dieses Stadtteils gleicht Möglicherweise ist die Betrachtungsebene der amtlichen Stadtteile auch zu abstrakt Für Ju gendliche relevant sind kleinräumige re Einheiten die zudem nicht an amt liche Stadtteilgrenzen gebunden sind In diesen Einheiten auf Quartiersebe ne etwa ist zum einen eher von einer Homogenität der Merkmale auszuge hen zum anderen dürfte von solch abgegrenzten Räumen in denen sich Jugendliche verstärkt bewegen eher ein sozialisatorischer Effekt ausgehen Die empirische Prüfung dieser Idee mittels standardisierter Dunkelfeldbe fragungen steht derzeit aber noch aus und wird auch in absehbarer Zukunft nicht umgesetzt werden da die Erfas sung von Wohnadressen in Schülerbe fragungen die Anonymität aufheben würde und deshalb auch datenschutz rechtlich untersagt ist These 3 Die Sozialisationsfaktoren sind auch abhängig von den Bedingun gen des Wohnumfelds In Bezug auf die Unterscheidung von strukturellen und kulturellen Stadtteilfaktoren wurde bereits von indirekten Zusammenhängen gespro chen Indirekte Zusammenhänge lie gen vor wenn ein Faktor z B die Arbeitslosenquote einen anderen Faktor z B das Konfliktniveau beein flusst der dann das delinquente Ver halten beeinflusst Indirekte Zusam menhänge können auch in anderer Hinsicht vorliegen Die genannten Stadtteilfaktoren können sich darauf auswirken welchen Freizeitaktivitä ten nachgegangen wird welchen Freunden man sich anschließt oder welche Einstellungen bezüglich der Akzeptanz delinquenten Verhaltens man aufrechterhält Rabold und Baier 2013 postulieren ein solches Modell und testen es partiell vgl Abbildung 1 Untersucht wurde dabei ob vier individuelle Risikofaktoren des de linquenten Verhaltens niedrige Selbstkontrolle gewaltakzeptierende Einstellungen Zusammenschluss mit gewalttätigen Freunden und Aufsu chen von problematischen Freizeitor ten von Stadtteilfaktoren abhängig sind Die Analysen haben Folgendes er geben Die soziale Desorganisation Ausländeranteil Arbeitslosenrate So zialhilfequote steht in keiner kon sistenten Beziehung mit den indivi duellen Bedingungsfaktoren ebenso wenig wie die soziale Kohäsion Erneut ergeben sich aber signifikante Zusam menhänge mit dem Anteil positiver Verhaltensvorbilder und dem Konflikt niveau Am Beispiel des Konfliktni veaus ergibt sich dass mit steigenden Konflikten die Selbstkontrolle zurück geht der Besuch von problemati schen Freizeitorten steigt sowie die Zustimmung zu gewaltakzeptieren den Einstellungen zunimmt Tenden ziell schließen sich die Jugendlichen unter solchen Bedingungen auch häu Abbildung 1 Erklärungsmodell von Rabold und Baier 2013 S 188

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