44 forum kriminalprävention 1 2017 JUGENDKRIMINALITÄT sächlichen Opferraten in diesen Stadt teilen die ebenfalls erhoben wurden liegen aber eher im Durchschnitt Es hat damit den Anschein als ob be stimmte Stadtteile einer Stadt einen schlechten Ruf haben der seine Ursa che nicht in der Kriminalitätsbelas tung hat sondern aus anderen Quel len gespeist wird Möglicherweise werden einige Stadtteile in der Medi enberichterstattung besonders fokus siert sodass der Eindruck entsteht hier handelt es sich um belastete Ge biete Möglicherweise sind es aber auch tradierte Bilder die über be stimmte Stadtteile vorherrschen und von Generation zu Generation weiter gegeben werden Aus diesen Befun den lässt sich der Schluss ziehen dass nicht primär die Kriminalität das zen trale Problem einiger Stadtteile ist sondern ihr Image d h das was die Menschen über die Kriminalität in die sen Stadtteilen zu wissen meinen Das Image eines Stadtteils zu ändern dürf te gewiss nicht minder schwierig sein als das Kriminalitätsniveau eines Stadt teils Fazit Der Beitrag hat sich mit der Frage beschäftigt ob Eigenschaften des Wohnumfelds bzw von Stadtteilen in bundesdeutschen Städten das delin quente Verhalten der in ihnen woh nenden Jugendlichen beeinflussen Die Antwort auf diese Frage ist ein vorsichtiges Ja Vorsichtig in min destens zweifacher Hinsicht Erstens gibt es in Deutschland noch einen Mangel an empirischen Studien zu die sem Thema Bislang gibt es nur weni ge Studien die eine umfassende an spruchsvolle Prüfung der Theorie der Desorganisation bzw der kollektiven Wirksamkeit vorgenommen haben Diese Studien sind auch nicht einheit lich hinsichtlich der Befundlage Es gibt Studien die stärkere und Studi en die schwächere bis keine substan ziellen Unterschiede im kriminellen Verhalten von Jugendlichen im Ver gleich von Stadtteilen feststellen Vor sicht ist zweitens auch deshalb ange bracht weil eine Prüfung bislang nur entlang von amtlich gezogenen Stadt teilen erfolgte Dabei handelt es sich z T um so große Einheiten dass ein einheitlicher sozialisierender Effekt nur schwer vorstellbar ist In weiteren Studien geprüft wer den sollten zugleich zwei Erkenntnis se der bisherigen bundesdeutschen Studien Zum einen sind in Deutsch land weniger strukturelle Merkmale im Sinne der Arbeitslosenrate oder des Migrantenanteils bzw Merkmale im Sinne der Theorie der kollektiven Wirksamkeit für Unterschiede im De linquenzaufkommen entscheidend als vielmehr Merkmale die die Vorbildrol le der Erwachsenen ansprechen Mehr positive Verhaltensvorbilder im Stadt teil wirken sich positiv auf das Verhal ten der Jugendlichen aus ebenso wie weniger Konflikte zwischen den Er wachsenen Zum anderen kann belegt werden dass der Einfluss der Stadt teileigenschaften eher indirekt ist Diese stehen mit Freizeitaktivitäten in Verbindung Sie rahmen das Assoziati onsverhalten der Jugendlichen und prägen deren Persönlichkeit Für die se Faktoren lässt sich wiederum ein stabiler Zusammenhang mit dem de linquenten Verhalten feststellen Dass sich im Vergleich zu angloame rikanischen Studien der Sozialraum in deutschen Studien als weniger ein flussreich erweist könnte mindestens drei Gründe haben Erstens sind die Unterschiede zwischen Stadtteilen in bundesdeutschen Städten begrenzt Ghettoartige Stadtteile gibt es bislang nicht und wird es auch in absehbarer Zukunft nicht geben Dies ist zweitens darauf zurückzuführen dass sozial staatliche Maßnahmen greifen wenn Stadtteile abzudriften drohen In vestitionen in die Infrastruktur aber ebenso in Hilfsangebote sind die Folge einer Verschlechterung der Bedingun gen in Stadtteilen Drittens besteht ein markanter Unterschied darin dass es in Deutschland keine vergleich baren Gang Aktivitäten gibt wie in an gloamerikanischen Städten Gangs agieren raumbezogen sie besetzen bestimmte Stadtteile und üben in die sen kriminelles Verhalten aus Ein Feh len von Gangs reduziert entsprechend Kriminalitätsunterschiede im Ver gleich von Stadtteilen Schlussfolgerungen für die Präventionspraxis Die Darstellung der bundesdeut schen Forschungsergebnisse verweist darauf dass die Präventionsarbeit der Vergangenheit bereits sozialräumlich agiert hat und erfolgreich gewesen ist Ein Grund warum Stadtteile mit problematischer desorganisierter So zialstruktur im Endeffekt doch weni ger problematisch sind wenn das Aus maß der Jugendkriminalität in diesen Stadtteilen betrachtet wird kann dar in gesehen werden dass sich Präven tionsarbeit gerade auf diese Stadtteile konzentriert Empirische Ergebnisse liegen hier zwar bislang nicht vor Plausibel ist eine solche Annahme dennoch wird beispielsweise berück sichtigt an welchen Kriterien sich die Implementation von Maßnahmen z B Sozialarbeit Programm Soziale Stadt festmacht Zukünftige sozialräumliche Präven tionsarbeit sollte sich verstärkt darum bemühen Erwachsene einzubezie hen insofern diese wichtige Verhal tensvorbilder für Jugendliche darstel len Das generationsübergreifende Gestalten von Plätzen oder Parks kann beispielsweise eine geeignete Maß nahme sein und eine kriminalitätsre duzierende Wirkung entfalten auch wenn deren primäres Ziel gar nicht die Kriminalitätsreduktion ist Zugleich sollte der Effekt solcher Maßnahmen nicht überschätzt werden Hingewie sen wurde darauf dass die starken Einflussfaktoren der Jugendkriminali tät im nahen Sozialraum der Jugendli chen liegen An dieser Stelle ist dabei auf die besondere Rolle der Familien hinzuweisen Programme die die Er ziehungskompetenz der Eltern stär ken und beispielsweise zum Gewalt verhalten alternative Erziehungsstile vermitteln z B Triple P sind als ef fektiver einzustufen als sozialräumlich orientierte Präventionsprogramme Dr Dirk Baier ist Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewand te Wissenschaften Departement Soziale Arbeit Dr Susann Prätor arbeitet im Kriminologischen Dienst im Bildungsinstitut des niedersächsischen Justizvollzuges Kontakt dirk baier zhaw ch Literatur Baier D 2011 Jugendliche als Opfer und Täter von Gewalt in Wolfsburg Unveröffentlichter KFN For schungsbericht Baier D Kemme S Hanslmaier M Doering B Reh bein F Pfeiffer C 2011 Kriminalitätsfurcht Strafbe dürfnisse und wahrgenommene Kriminalitätsentwick lung Ergebnisse von bevölkerungsrepräsentativen Befragungen aus den Jahren 2004 2006 und 2010 KFN Forschungsbericht Nr 117 Baier D Pfeiffer C 2011a Jugendliche als Opfer und Täter von Gewalt in Berlin KFN Forschungsbericht Nr 114 Baier D Pfeiffer C 2011b Wenn Opfer nicht zu Tä tern werden Beeinflussen Bedingungen der Schul klasse den Zusammenhang von innerfamiliären Ge walterfahrungen und eigener Gewalttäterschaft Trauma und Gewalt 5 6 19 Baier D Pfeiffer C 2007 Hauptschulen und Gewalt Aus Politik und Zeitgeschichte 28 17 26 Baier D Pfeiffer C Rabold S 2009a Jugendgewalt in Deutschland Befunde aus Hell und Dunkelfeldunter suchungen unter besonderer Berücksichtigung von Geschlechterunterschieden Kriminalistik 63 323 333 Baier D Prätor S 2015 Ist sozialräumliche Segregati on ein Einflussfaktor der Jugenddelinquenz In El Mafaalani A Kurtenbach S Strohmeier K P Hrsg Auf die Adresse kommt es an Segregierte Stadtteile als Problem und Möglichkeitsräume begreifen Wein heim Beltz S 108 129

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